Am Weg von Amsterdam nach IJmuiden, Inschallah!

Inschallah, wir werden bald die Nordsee erreicht haben. Warum ich auf einmal mitten in den Niederlanden arabisch spreche? Das liegt an unserem Ablegemanöver mit kleinen Turbulenzen, aber dazu später. Vorerst einmal zum wichtigsten Punkt: wir sind bereits in Amsterdam.

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Der Captain fühlt sich gerade schräg, wie Amsterdam eben so ist.
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Amsterdam an einem perfekten Mai-Tag.

Genauer gesagt liegt Maha Nanda im Hafen Twellegea, in der Nähe von Amsterdams größtem Yachthafen, dem riesigen, sehr praktischen und ziemlich hässlichen Sixhaven, wo die meisten Segler anlegen. Da aber Maha Nanda von einem vorausschauenden, gut organisierten und kreativen Captain gesteuert wird, sind wir gleich nach der Oranjeschleuse im Nordseekanal Steuerbord in einen Kanal abgebogen, der sich wunderbar idyllisch durch einen Park schlängelt, das Ufer von Hausbooten gesäumt; am Ende des Kanals liegt Twellegea. Klein und fast kitschig romantisch. Wir kamen spätabends an und wurden gleich vom Boss – ihm gehören fünf Marinas in Amsterdam – persönlich in Empfang genommen, eine spezielle Persönlichkeit. Seiner Fahne nach zu urteilen, nicht mehr ganz nüchtern, seinem Verhalten nach vielleicht auch stoned, man weiß es nicht. Wie dem auch sei, ob Alkohol oder Shit, der Mann war äußerst entspannt. Deutete uns, wir könnten gleich mal da liegen bleiben, wo wir angelegt hatten und sollten Dienstag oder whenever zahlen kommen, wenn wir ablegen. „You know, I want to enjoy my Friday evening now.“ Sprach’s und ging, nicht ohne uns vorher die Codes für die Eingangstore und WiFi sowie die Wegbeschreibung zum nächsten Supermarkt und zur Bussstation zu verraten.

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Tewllegea, der ruhigste Yachthafen von Amsterdam
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Perfekter Liegeplatz in der Marina Twellegea, Amsterdam

Der Hafen ist perfekt, liegt absolut ruhig, windgeschützt von allen Seiten. Zwar sind die Sanitäranlagen – sagen wir – verbesserungswürdig, aber das Wasser in den Duschen ist heiß, ein kleines Glück fürs Langfahrtsegler-Herz. Fünf Gehminuten entfernt weitet sich die Straße zu einem kleinen Platz, wo’s ein paar Geschäfte – Bäckerei, Fleischerei, Gemüsehändler – gibt, ein Stückchen weiter liegt die Bushaltestelle, von welcher man in fünf Minuten bei der Metro und eine Station weiter direkt im Zentrum von Amsterdam ist.

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Christoph und André, Chef von pkwaterbouw, beim Kaffee
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André besucht uns mit seinem 40 Jahre alten Mini-Katamaran.

Wenn du vom Trubel in der Stadt genug hast, ist Twellegea der beste Ort zu chillen. Das sehen wohl auch die Hausboot-Bewohner so, einen von ihnen beobachten wir, wie er sonntagnachmittags von seinem schwimmenden Zuhause auf einen winzigen Katamaran steigt, sich in Entspannungsliegeposition begibt und ein paar Wenden durchs Hafenbecken fährt. Als er bei Maha Nanda vorbeirelaxt, laden wir ihn auf einen Kaffee an Bord ein. André wohnt seit 25 Jahren auf einem Hausboot und klärt uns erst mal über die Wohnpreise in Amsterdam auf. Das Boot alleine kannst du nicht kaufen, denn du brauchst einen legalen Liegeplatz dazu und da brauchen wir bei unter 500.000 Euro gar nicht erst zu suchen beginnen. Dazu kommt die jährliche Miete, die an die Stadt zu zahlen ist. „Tewllegea ist einer der teuersten Stadtteile für Hausboote“, teilt uns André mit. Viel ruhiger als die Liegeplätze direkt an der Amstel, mitten im Grünen gelegen, aber mit dem Boot bist du quer über den Nordseekanal in nur zehn Minuten im Stadtzentrum. Ja, am besten erledigst du alle Wege übers Wasser. Das wäre auch Andrés großer Plan für Amsterdam – die Stadt Auto-frei zu machen -, ist er doch Besitzer von fünf Firmen, unter anderem der pkwaterbouw, die sich mit Wassertransport und Wasserbau beschäftigt. pkwaterbouw ist im Besitz von 60 Booten, zum Großteil Transportschiffe und Schiffskräne, unter anderem werden Schiffsanlegestellen gebaut.

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Hausboot an der Amstel, Amsterdam
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An der Heerengracht, Amsterdam
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Heerengracht, Amsterdam

In den Niederlanden gibt’s an die 30.000 Hausboote und du findest sie in allen Formen und Kategorien. Vom Luxus-Boot im Loftstil über klassische Plattboden-Segler bis zu ehemaligen Lastkähnen schwimmt hier alles. Nur die Preiskategorien sind ziemlich konstant. Teuer. Andrés Sohn wohnt gleich ein paar Boote weiter ebenfalls in Twellegea, wir können von Maha Nanda aus zu dem alten blauen Plattbodenschiff hinsehen. Ende des 19. Jahrhunderts – noch ohne Motor – gebaut, war es jahrzehntelang als Frachtschiff im Einsatz, bis es als schwimmendes Haus zweckentfremdet wurde. Wir besuchen den 19-jährigen Sammie in seinem Zuhause. Echt gemütlich hat’s der Bursche hier, das würde auch unseren Söhnen gefallen. Vor dem Schiff – im Vorgarten – steht ein Quad, vom Opa für den Sonntagsausflug geliehen. Die Steuerkajüte dient als  Vorraum, von da aus geht’s rechts die Stiegen runter zu Bad und WC, links in die Wohnküche. Wie zu Urgroßmutters Zeiten sieht es im Inneren des 120-jährigen Schiffs allerdings nicht aus. Es gibt eine kleine moderne Küche inklusive Kücheninsel, ein breites Ledersofa, eine riesige Soundanlage, an den Fenstern mit Blick direkt aufs Wasser steht eine Kakteensammlung. „Vor ein paar Jahren haben wir renoviert“, erzählt Sammie. Fahrtüchtig ist der alte Stahlkahn übrigens immer noch. „Vor zwei Jahren waren wir das letzte Mal damit im Urlaub, sind quer durch Holland gefahren.“ Wie viel Pflege braucht eigentlich die alte Housboat-Lady? „Alle zwei Jahre kommt sie aus dem Wasser und kriegt einen neuen Anstrich.“ So wie Sammie das sagt, klingt es ziemlich unkompliziert – aber was ist schon kompliziert in den Niederlanden?

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Amsterdamer-Hausboot-Leben

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Amsterdam ist nicht nur extrem relaxed sondern auch für Überraschungen gut. „Danke für euren Tipp im Blog, ich habe Babsi ein Amsterdam-Wochenende zum runden Geburtstag geschenkt und ein Abendessen im R.E.M. Eiland reserviert“, schrieb Ronald, ein Freund aus der Heimat. „Wir sind nächstes Wochenende da.“ Sowas kannst du nicht planen, sowas passiert einfach. Genau an diesem Wochenende legten wir in Amsterdam an – und trafen uns spontan mit Babsi und Ronald auf ein (oder auch mehr) Bier am Voorburgwal in Amsterdams Zentrum. Das Leben ist eben voller Überraschungen.

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Grachten-Pracht: Christoph, Babsi, Ronald und Ulli in Amsterdam

Morgen wollen wir weiter nach IJmuiden, dem Eingangstor zur Nordsee, Inschallah. Ach ja, da war noch was: unser Ablegemanöver. Angesichts des drei Tage andauernden Starkwinds, der unaufhörlich in den schmalen Kanal vor Edam und auf Maha Nandas Hinterteil blies, teilte mir der Captain mit: Wir legen mit dem Inschallah-Manöver ab. Wer Klaus Czaps Buch „Hafenmanöver der Profis“ gelesen hat, weiß was Sache ist. Allen anderen sei es in Kürze erklärt. Wir legen eine Achterleine von der Backbordheckklampe an Land (wo wir steuerbordseitig liegen) und wieder zurück zur Klampe. Dann wird das Ruder bei langsamer Fahrt voraus steuerbord eingeschlagen und wir lösen die restlichen Festmacher, Maha Nandas Heck entfernt sich vom Kai und ihr Bug dreht sich in den Wind. Ergo drehen wir uns direkt im engen Kanal um 180 Grad.

Out of order

Läuft alles wie geschmiert, bis auf einen kleinen Zwischenfall. Beide Heckleinen laufen um den gleichen Poller und jene, die zuerst zu lösen ist, rutscht unter die äußere Achterleine. Da mag der Captain ziehen und zerren so sehr seine begrenzte Muskelkraft es vermag, es gibt kein Loskommen. Kein Problem, die Crew tritt auf den Plan, wir haben  ja angesichts der umsichtigen Manöverplanung alle Zeit der Welt! Lässig entspannt, steige ich von Bord und löse direkt am Poller die Spannung der Achterleine, eine Tätigkeit, die Christoph nicht davon abhält, weiter wie der Weltmeister anzuziehen. Es funktioniert, ich bekomme die untere Leine frei, sie kann ungehindert laufen – was sie auch tut. Da höre ich einen Rums – und als ich mich dem Captain zuwende, sehe ich ihn, der eben noch an der Klampe stand, am Boden des Cockpits vor dem offenen Niedergang am Allerwertesten sitzen, das Ende der nun freien Leine in der Hand, der verdutzte Blick unbezahlbar. Froh bin ich, dass das Schott am Niedergang nicht breiter ist, sonst hätte ich meinen Captain wohl im Salon zusammenklauben müssen. Am Inschallah-Manöver müssen wir noch feilen, unsere Slapstick-Einlage (die zum Glück keiner beobachtet hatte, unsere Nachbarn legten gerade an und hatten bei Starkwind alle Hände voll mit sich selbst und ihrem Boot zu tun) nennen wir inzwischen das Maha-Nanda-Manöver.

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Das Maha-Nanda-Manöver: der Captain ist für ein paar Sekunden out of order, während die Crew alles im Griff hat.

Zu unserer Ehrenrettung sei gesagt. Ich stieg wieder – behände und elegant, wie es meiner Natur entspricht – an Bord, der Captain blies sich kurz den Staub vom Ölzeug, eilte in Windeseile ans Steuerrad und wir legten völlig unfallfrei und wie geplant ab.

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Amsterdam an einem perfekten Mai-Tag
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Amsterdams Grachten im Mai: traumhaft

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