Jahrelang war ich davon überzeugt, dass meine Heimatgemeinde Rabensburg ein ganz besonderer Ort ist. Nämlich, dass nirgendwo sonst so viele seltsame, schräge Menschen leben, dass wir das einzige Dorf mit bisweilen verhaltensauffälligen Nachbarn, speziellen zwischenmenschlichen Geschichten und Polit-Originalen sind. Später habe ich dann erfahren, dass es im Nachbardorf Hohenau genauso zugeht und noch viel später, als ich begann, als Lokaljournalistin zu arbeiten, erkannte ich, dass fast jeder kleine Ort seine eigene Lebensart, seine eigene, oft sehr spezielle Kommunalpolitik und seine eigenen dorfbekannten Freaks hat.
Ich bin eine waschechte Rabensburgerin, denn die Familie meines Großvaters väterlicherseits stammt von hier, meine Mutter kommt allerdings aus Hohenau und diese Tatsache muss ich betonen, denn Rabensburg und Hohenau, das ist wie Boston und New York oder Peking und Shanghai. Jeder ist überzeugt, der Bessere zu sein und ist dem anderen dabei so ähnlich, dass ein Außenstehender nicht den Unterschied erkennt. Das allerböseste Schimpfwort, das ein Hohenauer dem Rabensburger an den Kopf werfen kann, ist das aus dem slowakischen oder tschechischen verballhornte Wort „Bubelani“ (Heißt angeblich Klugscheißer). Und wie glaubst du, schimpfen die Rabensburger ihre Hohenauer Nachbarn? „Bubelani!“ Ein Streit, der Generationen andauert und kein Ende ist absehbar. Die Fußball-Matches Hohenau – Rabensburg waren Legende und endeten mit gewisser Regelmäßigkeit in Massenschlägereien; wenn Hohenauer den Rabensburger Kirtag besuchten, gehörten Messerstechereien zum Pflichtprogramm. Und dennoch, es ist nicht Hass, es ist Hassliebe. Denn gefühlt die Hälfte aller Hohenauer verliebt sich in eine Rabensburgerin und mindestens die Hälfte der Rabensburger heiratet eine Hohenauerin. Bestes Beispiel: meine Eltern und – ich. Ich habe einen Hohenauer geheiratet, einen Bubelani. Der mir nach der Hochzeit sagte: „Niemals hätte ich geglaubt, dass ich eines Tages in dieses Rabensburg ziehen werde!“ Und eine gewisse Desillusioniertheit lag in seiner Stimme…
Dschungelfeeling in Niederösterreich
Rabensburg und Hohenau liegen im Dreiländereck, an den Grenzen von Österreich, Tschechien und der Slowakei, dort wo die Thaya in die March fließt. Die beiden sind Österreichs einzige Tieflandflüsse und theoretisch sogar schiffbar, wir könnten also mit unserer Maha Nanda bis zur Donau segeln. Theoretisch. Praktisch haben wir zumindest zwei Probleme. Die March ist im Durchschnitt nur einen Meter tief und die gesamte Au ist Naturschutzgebiet. Kanufahren ist allerdings möglich und manche Leute sagen, die March ist der Amazonas Österreichs. Tatsächlich kommt beim Fahren am mäandernden Fluss mit seinen tiefhängenden Weiden so etwas wie Dschungelfeeling auf. Einen Sommer, als wir Teenager waren, sind wir in der Früh bei Sonnenaufgang in die Au geradelt, um Fitzcarraldo-Feeling zu erleben. Als sich der Himmel über dem Fluss rosa zu färben begann, der Nebel in den Bäumen hing und die Vögel zu rufen begannen, fühlten wir uns für ein paar Minuten tatsächlich so als wären wir mitten im peruanischen Dschungel. Zum Glück war kein wahnsinnig gewordener Klaus Kinski in der Nähe…
Schloss sucht Investor
Übrigens finde ich die Thaya-Auen bei Rabensburg schöner als die March-Auen bei Hohenau (schöne Grüße an alle Hohenauer, Ätsch!). Was in Rabensburg außerdem besser ist als in Hohenau? Wir haben ein Schloss. Ein 800 Jahre altes, ehrwürdiges Gebäude, das einst dem Fürsten von Liechtenstein gehört hat, bis es 1991 an einen Schotterunternehmer verkauft wurde. Jetzt gammelt es vor sich hin, wandelt sich langsam zur Ruine und wartet seit Jahrzehnten auf einen Investor. Daher an alle reichen, mutigen und einfallsreichen Blog-Leser ein Appell: Kauft das Schloss und macht etwas daraus: ein Hotel, eine Burg-Erlebniswelt, eine Kunstgalerie – egal was, wir sind für alles offen 😉
Dorfpolitik at it’s best
Rabensburg und Hohenau verbindet neben den vielen grenzüberschreitenden Liebschaften außerdem die Politik. Denn beide Gemeinden sind traditionell SPÖ-geführt. Damit hat Rabensburg im Bezirk Mistelbach schon Seltenheitswert, denn der ist Tiefschwarz: fast nur Bauerndörfer. Und Bauern haben eben keine Wahl bei der Wahl, sie machen ihr Kreuzerl traditionell bei der ÖVP. Die Zeiten, als Rabensburg und Hohenau Bauerndörfer waren, sind aber schon lang vorbei, denn die Orte liegen an der Nordbahn und in Hohenau gab’s zudem eine Zuckerfabrik. Bahn, Fabrik und die OMV waren jahrzehntelang die größten Arbeitgeber, die meisten Nordbahngemeinden waren daher klassische Arbeitergemeinden. Die „besseren“ Tage, als das Familienoberhaupt am Wahltag die verpflichtende Farbwahl für jeden in seinem Haus Wohnenden vorgab und jeder im Dorf wusste, welche Familie welcher Partei nahesteht – und auch wer die sieben Kommunisten im Ort sind – sind aber mittlerweile vorbei. Hoffe ich zumindest. Geschichten wie jene, wonach der kleine Fritz (mein Schwiegerpapa) Watschen von seinem Vater, dem Schneidermeister und ÖVP-Wähler, kassierte, weil er beim Umzug der Roten Falken (ein sozialistischer Jugendverband) mitmarschierte – er fand die blauen Hemden und roten Tücher so fesch – gibt es in vielen Familien. Andererseits… dürfen heute Bauernkindern beim Fackelzug der Roten am 30. April mitmarschieren? Und sieht man jemals die seit 100 Jahren SPÖ-wählenden Pensionistenverbandsmitglieder beim Ausflug des schwarzen Seniorenbundes?
Manche Dinge ändern sich halt sehr langsam in den kleinen Dörfern am ehemaligen Eisernen Vorhang. Aber manchmal ist es schön, wenn der Alltag gleichbleibt. Wenn man längere Zeit weg ist, wieder zurückkommt und nichts hat sich geändert, dann fühlt man sich so… zu Hause 😉