Ich stelle das jetzt ein für allemal klar: Nein, ich mache kein Yoga. Irgendwie scheinen alle zu glauben, wer Indien-Fan ist, muss auch Yoga-Fan sein. Offenbar fehlt mir noch die Reife, um meine innere Balance zu finden, denn seit meinem gescheiterten Versuch vor 30 Jahren, als meine beste Freundin und ich aus dem Yoga-Kurs geflogen waren, weil wir diese unsere gemeinsame Zeit zum Tratschen statt zum konzentrierten In-Sich-Hineinhorchen genutzt hatten, habe ich es bleiben gelassen.
Damit komme ich gleich zur nächsten Klarstellung: nein, ich war noch nie in einem Ashram für Europäer. Damit meine ich jene überteuerten Pseudotempel, geführt von selbsternannten Gurus, die zum Zweck des Ausnehmens an Finanzkraft reicher aber emotional armer Westler errichtet wurden und sich regen Zulaufs erfreuen. Der Glaube ist Indiens Tourismus-Wachstumsbranche und die auf zahlungskräftige erleuchtungssuchende Europäer und US-Amerikaner ausgerichteten Gurus, oder nennen wir sie in diesem Fall besser Ashram-Manager, jubeln über volle Kassen. Damit sind sie natürlich weit entfernt vom ursprünglichen Wesen des Gurus, also des spirituellen Lehrers, der im Idealfall mehrere Stufen seines Lebens vom Veda-Schüler bis zum Samnyasin, der allem Weltlichen entsagt, durchschreitet. But who cares… wenn beide Seiten glücklich werden. Die erste Stufe habe ich persönlich übrigens erreicht – immerhin war ich Veda-Schülerin und habe mich als Indologie-Studentin der Universität Wien ernsthaft ein paar Jahre mit Schriften des Rigveda, Samaveda, Yajurveda und Atharvaveda beschäftigt (geplagt trifft es wohl eher), aber bis zur nächsten Stufe, Grihastha (Familienvater) habe ich es – auch aus biologischen Gründen – nicht mehr geschafft, und die Stufe Vanaprastha (Einsiedler) habe ich mir damit auch gespart.
Was ich durch mein Studium gelernt habe? Dass ich mit um viel Geld gekaufter Spiritualität nichts anfangen kann – dazu gehört übrigens auch das im Westen sehr beliebte Wellness-Ayurveda, das, wie man sich vorstellen kann, mit den ursprünglichen 1000 Jahre alten medizinischen Inhalten der Veden so viel zu tun hat wie das Erholungsbad der frommen Susanna im Buch Daniel in der Bibel mit den modernen Wellness-Whirlpools für die gestresste Damenwelt von heute.
Was ich nicht gelernt habe? Echte von falschen Sadhus zu unterscheiden. Fünf Millionen Sadhus leben in Indien, so heißt es. Gefühlt die Hälfte davon in Varanasi, denn in einer der heiligsten Städte der Hindus begegnet man jenen, die sich von allem Weltlichen entsagt haben und nur von Almosen leben, auf Schritt und Tritt. Sie haben die letzte erstrebenswerte Stufe des Samnyasin, des Weltentsagenden, erreicht – und natürlich wissen wir, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Will heißen, nicht jeder in safranfarbene Tücher gehüllte, weiß bemalte, Rastazöpfe tragende und Bhang rauchende Mann ist ein Weiser. Aber es ist uns Indienreisenden unmöglich, anhand des Gehabes zu erkennen, welche Stufe der Spiritualität der sich solcherart Präsentierende erreicht hat. Ein allem Besitz Entsagender, der permanent sein Smartphone ans Ohr hält, ist mir zwar suspekt, aber deswegen noch lange kein Betrüger, umgekehrt ist ein Digambara, also ein Luftgekleideter, vielleicht in Wahrheit ein gefinkelter Touristinnen-Abzocker, der seine nackte Pracht gezielt für Beutezüge bei reichen Westlerinnen einsetzt. Man weiß es nicht. Daher gilt für uns im Zweifel: ein paar Rupien in die Bettelschale werfen, bringt auf jeden Fall gutes Karma.
In den 60er-Jahren, als der Höhepunkt der Hippie-Ära erreicht war und die indische Spiritualität so boomte wie nie zuvor, waren die Sadhus ja der Inbegriff der spirituellen Sehnsüchte des Westens. Wohl nicht zuletzt wegen des Bhang (Cannabis), das im Shiva-Kult eine wichtige Rolle spielt und von Sadhus in großen Mengen genossen wird. Nur um das klarzustellen, unsere Erfahrungen mit Bhang-Lassi halten sich in Grenzen, genauer gesagt, sie tendieren Richtung Null. Ich schätze mal, drei Viertel aller weißhäutigen Touris, die über Varanasis Ghats am Ganges schlurfen – oder besser schweben – sind stoned. Wir gehörten zum vierten Viertel, auch wenn dir an jeder Ecke das „best bhang in your life“ angeboten wird. Oder gerade deshalb. Denn du hast in Wahrheit keine Ahnung, was und welche Dosis du da eigentlich kriegst. Ein Bekannter von uns hat in Pushkar in Rajasthan echt den Vogel abgeschossen. Er hat Lassi bestellt, der Straßenhändler fragte „Bhang-Lassi?“ Er verstand „Mango“ und wunderte sich gar nicht, als der Händler weiterfragte „Strong?“ Auch dass das Lassi weder nach Mango aussah, noch annähernd so schmeckte, erstaunte ihn nicht – den ahnungslosen Indien-Anfänger. Wie er zurück ins Hotel gekommen war, wusste er hinterher nicht mehr. Nur dass seinem Gedächtnis ein ganzer Tag seines Indien-Aufenthaltes vollkommen abhanden gekommen war – das blieb ihm in Erinnerung.
Fazit: Jeder möge seinen persönlichen Weg der Erleuchtung finden. An Erkenntismöglichkeiten mangelt es in Indien wahrlich nicht und wer Grenzerfahrungen machen will, wird sie dort bekommen. Aber wundert euch hinterher nicht, denn ich habe euch gewarnt;)