Tipp für Indienreisende: die Thumps-up-Diät

Man sieht es mir nicht an und Leute, die meine Essgewohnheiten nicht kennen, glauben, dass ich ständig auf Diät bin, aber die Wahrheit ist: Ich esse gerne und ziemlich viel. Wäre ich ein Masttier, gälte ich wohl als schlechter Futterverwerter, als Frau ist mein Stoffwechsel echt praktisch, ich zähle keine Kalorien und bleibe schlank. Weil’s mir aber so schmeckt – das war schon immer so und mein Omis haben meinen Appetit und mein kugelrundes Aussehen als Baby als „sehr beruhigend“ bezeichnet – muss ich viel über’s Essen nachdenken. Was ich essen könnten, wann ich wieder zum Essen komme, was ich fürs Kochen einkaufen könnte und so weiter. Wenn ich nicht Punkt zwölf, wie die Maurer, mein Werkzeug fallen lasse und zum Mittagstisch eile, fragen meine Kollginnen besorgt, ob ich wohl krank wäre. Die Mittagspause ist mir heilig, ebenso wie ein gutes Frühstück.

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Jaisalmer, März 1993

Gibt es kein Frühstück – was zirka dreimal in meinem Leben passiert ist – bin ich extrem ungenießbar und tue mir selbst unendlich leid. Das erinnert mich übrigens an einen dieser drei Tage. Wir waren in der nordindischen Stadt Jaisalmer am Rande der Wüste Thar und es war der Tag des Holi-Festes. Das Fest der Farben findet zum ersten Vollmond des Frühlings statt, der Legende nach – aus den Schriften der 1500 Jahre alten in Sanskrit geschriebenen  Bhagavata Puranas – feiert man den Sieg über die Dämonin Holika. Ähnlich wie hierzulande der Hintergrund von Weihnachten zweitrangig ist, geht es Millionen Indern in Feierlaune bei Holi weniger um religiöse Legenden sondern um das Event selbst. Und das besteht in erster Linie aus Farbenwerfen. Das Farbpulver gibt es schon Tage zuvor überall an Marktständen zu kaufen, es wird an diesem Tag in Massen verstreut, vorwiegend aber mit Wasser gemischt und mit Spritzpistolen oder kübelweise aufeinander geschüttet. Ein wahrer Farbrausch, dem sich kein Mensch, der sich auf offene Straße wagt, entziehen kann. Auch vor Hunden, Hühnern und Kühen wird nicht Halt gemacht und noch Tage später wandern zahllose pink gefleckte Kühe – und auch Menschen, denn das Pink ist wasserfest – durch die Städte.

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Wir waren vorgewarnt und man gab uns den Rat, nicht das Hotel zu verlassen, um uns vor Farbexplosionen zu schützen. Ein sinnloser Rat, erstens wurden wir schon am Vormittag vom Hotelpersonal mit Farbkübeln überfallen, zweitens: Welcher Europäer verzichtet freiwillig auf solch ein Spektakel? Also nichts wie raus. Bevor wir uns ins Getümmel stürzten, wollten wir allerdings – wie sich für mich gehört – ausgiebig frühstücken. Diesbezüglich hatte man uns allerdings nicht vorgewarnt: Am Tag des Holi-Festes feiern alle. Ausnahmslos. Was bedeutet, dass alle Geschäfte und alle Lokale geschlossen haben. Wir irrten durch die Stadt, ich zunehmend grantig, mein Magen knurrte und wenn Ulli in der Früh nicht gefüttert wird, dann… (siehe oben).

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Am Abend des Holi-Festivals

Schließlich sahen wir auf der Dachterrasse eines Lokals einen Mann, der auf unsere Frage bestätigte, dass es bei ihm Frühstück gebe. Endlich, ich war wieder versöhnt mit Holi. Wir machten es uns auf der Terrasse bequem, unten hatte das bunte Treiben bereits begonnen. Der freundliche junge Mann spannte sogar extra einen Sonnenschirm für uns, die einzigen Gäste, auf. Wir bestellten Frühstück mit allem: Chai, Omelette, Toast und Joghurt. Der Kellner wackelte zustimmend mit dem Kopf, verschwand in der Küche, um wenige Minuten später mit bedauernder Miene zurückzukehren. „Sorry, no eggs.“ Kein Problem, Toast ist ja auch okay. Kurze Zeit später tauchte der junge Mann erneut ohne Frühstückstablett auf: „Sorry, no Toast.“ Unsere Mienen verfinsterten sich, aber na gut, wenigsten heißer Tee mit Milch würde unsere Mägen beruhigen. Wir musste nicht lange warte, da erschien der Unglückskellner zum vierten Mal. „Sorry, no tea. You know, it’s Holi.“ Mit diesen Worten stellte er uns zwei Flaschen Thumps up (die nach Betelnuss schmeckende indische Cola-Variante) auf den wackeligen Tisch und verschwand kopfwackelnd und in Vorfreude bis über beide Ohren grinsend. Sekunden später sahen wir ihn unten die Straße entlanglaufen – bewaffnet mit einem Farbkübel und einer Fahrradpumpe.

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In der Wüste Thar

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