Was ist euer Rezept gegen schlechte Laune im Job? Meines ist: die Kuriositäten-Mappe. Als Lokaljournalistin habe ich den abwechslungsreichsten Job der Welt, denn ich kann über alles schreiben, worauf ich Lust habe (abgesehen von den Themen, über die ich schreiben MUSS und die nicht immer Freude bereiten, wie Banküberfälle, Politiker-Geschwurbel und Gemeinderatssitzungen). Oberste Prämisse: der Lokalbezug. Ich schreibe also über Atomwissenschaftler, Künstler und Rekordhalter – lauter Menschen aus meinem Bezirk, die Spannendes und Unterhaltsames zu erzählen haben.
Aber oft genug bin ich mit dem Abarbeiten von Pflichtelementen beschäftigt, führe unerfreuliche Diskussionen mit Politikern und Lesern und ärgere mich über die 143. Zusatzaufgabe, die mir mein Vorgesetzter für die aktuelle Produktionswoche vorgesetzt hat. Wenn die Stimmung am Nullpunkt und die Kreativität im Minusbereich ist, dann muss die Kuriositäten-Mappe her. Ich lese ein bisschen darin und schon steigt die Stimmung, ich reiche sie an meine Kolleginnen weiter, rezitiere die eine oder andere Passage laut – und die Atmosphäre in unsere Redaktion verwandelt sich in jene einer Kabarettbühne.
Jetzt wollt ihr natürlich wissen, was denn der Inhalt dieser sagenhaften Mappe ist. Ganz einfach, eine Sammlung an Texten, die im Laufe der vergangenen Jahre auf meinem Schreibtisch gelandet sind. Leserbriefe, Bewerbungen, Stilblüten des Bezirksjournalismus… unglaubliche Dinge werden geschrieben, das müsst ihr mir glauben, Zum Beweis einige Auszüge:
Ein anonymer Brief an meine Redaktion, wörtlich wiedergegeben, nur die Rechtschreibfehler wurden korrigiert:
„Jagdvorfall – eine wahre Begebenheit, gehört im „Beisl“ (Lokal, Anm.) in der Ortschaft XY. Die Jäger eines Jagdvereins erhielt vom Jagdleiter den Befehl, auf alle Fasane wird geschossen‘. Viele Jäger folgten dem Schießbefehl und schossen auf Fasane. Aber leider mussten sich einige Schießwütige verhört haben und schossen auf die Fassaden der naheliegenden Häusersiedlung. Erheblicher Sachschaden entstand. Die empörten Hausbesitzer beschwerten sich lautstark: ,Unsere Kinder sind im Garten, unsere Fassaden sind beschädigt.‘ Die Jäger reagierten sofort und schrien zurück. „Haltet eure Goschn, wir Stoda (?) jagen jetzt…‘, oder ,…sperrt die Kinder halt im Keller ein…‘ Dann zogen sie ab, aber ohne erlegte Fassade. Der Vorfall kam nicht zur Polizeianzeige. Hat angeblich ein hochrangiger Jäger verhindert.“

Sehr unterhaltsam ist auch ein längerer Mailverkehr mit der Gänserndorfer FPÖ-Stadtpartei. Ein regionaler Künstler war bei einem Konzert als Graham Chapman in dessen Rolle als Brian aus dem Monty-Python-Film „Das Leben des Brian“ aufgetreten und hatte „Always Look on the Bright Side of Life“ performed. Was die Stadtpartei-Sprecher nutzten, um via Facebook ihre Unwissenheit in Sachen Filmgeschichte zu offenbaren. „Ein Pseudokünstler mit Namen Extremhirsch hat einen unnützen, widerlichen Auftritt geliefert. Er trat als Jesus am Kreuz mit Windelhosen auf. Ein solches blasphemisches Verhalten ist schamlos und eindeutig zu verurteilen.“ Auch von deutlichen Hinweisen der Facebook-Community, dass in diesem Film Jesus nicht vorkommen würde, ließen sich die rechten „Erhalter der christlichen Wertegemeinschaft“ nicht irritieren, sie fühlten sich obendrein durch meine – zugegebenermaßen leicht ironische – Berichterstattung unverstanden und verlangten den Abdruck einer zweiseitigen (!) Richtigstellung mit dem Hinweis, sie würden mir auschließliche die „vollinhaltliche Wiedergabe“ ihres Textes ohne Kürzung gestatten :))))

Auch ein paar Stilblüten vom Mitbewerber möchte ich euch nicht vorenthalten.
Untertitel zur Ehrung eines verdienstvollen Ehepaars (Name geändert):
„Nach 27 Jahren legten Sissi und Franz Huber ihr Amt als Leiter des Briefmarkenvereins zurück. Sie erhielten dafür das Große Verdienstabzeichen.“
Ein Bericht über einen Tierhasser, der Hunde mittels vergifteter Köder tötet. Zitat einer betroffenen Hundebesitzerin: „Sie kann nicht eindeutig sagen, wo der Hund das Gift aufgenommen hat. Fest steht nur, dass sie im Garten Knochen gefunden hat, die keineswegs von ihr stammen können.“

Etliche Titelideen, die wir Redaktionsweiber in kreativen Stunden notiert haben, finden sich hier ebenfalls, wie zum Beispiel anlässlich der dramatischen Stimmen-Verluste von Bürgermeister Haupt bei der Gemeinderatswahl (wurde nicht verwendet, weil er die Wahl gewann): „O Haupt voll Blut und Wunden.“
Oder anlässliche des ÖVP-Siegs (auch nicht mehr verwendbar, weil die jetzt auf Türkis umgestellt haben): „Die schwarze Materie verdichtet sich“
Auch nie veröffentlicht, weil dieser Ortschef die Wahl mit Bomben und Granaten verlor: „Hier kommt Kurt!“

Ein wahrer Quell der Redaktionsfreude war eine große Serie zum Thema Katzen, die unsere Chefredaktion in Auftrag gegeben hatte. Über mehrere Wochen wurde ausführlich über die Hauskatze und ihre Raubtierinstinkte berichtet, der Autor hatte akribisch recherchiert und das emotionalisierende Thema sehr sachlich abgehandelt und von mehreren Seiten beleuchtet. Wie zu erwarten, erzeugte die Serie eine Flut an Leserbriefen von Lesern, die den Bericht offensichtlich nicht gelesen hatten. Jene, die eh schon alles wissen, brauchen ja auch nichts mehr lesen, oder? Ein paar heitere Auszüge aus den 30 Seiten, die vor mir liegen:
„So wie es die Hexenjagd gegeben hat, was grausam war, gibt es jetzt die Katzenjagd. Katzen jagen lieber Mäuse, weil das einfacher ist als Vögel.“
„Ist Ihnen bewusst, dass Sie mit dieser Berichterstattung erreichen, dass Katzenhasser und geistig Minderbemittelte wieder Giftköder und sonstige Katzenkiller auslegen? Warum sollen wieder Kinder um ihre geliebten Minkis und Mohrlis weinen?“
„Ich fordere Sie auf, den Artikel zu streichen, andererseits sehe ich mich gezwungen, Sie auf 100.000 Euro Schadenersatz/Schmerzensgeld zu verklagen.“ (Dies im Zusammenhang mit einer Reportage über Haustiere hat tatsächlich einen gewissen Austin-Powers-Unterhaltungsfaktor: Ich fordere eine Million Dollar!)
Auch eine Kennerin der heimischen Katzenszene schrieb uns und ließ uns an ihrem Wissen über aus- und inländische Rassen und deren räuberisches Verhalten teilhaben: „Die niederösterreichische Katze tut so etwas nicht!“
S


Zu guter Letzt findet sich ein Schmankerl der Kategorie Bewerbungsschreiben. Gesucht wurde ein freier Mitarbeiter für die Redaktion, ich bekam folgendes Mail ohne Anhang (Original-Rechtschreibung):
„Grüß Gott. Hab eine Frage an Sie: Was muss Ich bei den Job machen? Kann ich das von Zuhause aus machen? Bin zurzeit schwanger und suche einen Job! Mit freundlichen Grüßen“ (Ende)
