Gastfreundschaft Austrian Style: Der Gast muss selbst kochen

Freunde zu haben ist etwas Wunderbares; sie zu Hause zu bewirten macht einfach Spaß, aber am schönsten ist das Treffen, wenn die Gäste die Ärmel aufkrempeln und die Hausarbeit übernehmen 😉 Unsere Freunde aus Tamil Nadu waren zu Besuch in Rabensburg: der tamilische Priester Don Bosco und seine Assistentin Helan, die gerade für zwei Monate zu Besuch in Europa sind. Sie erwiesen sich als die perfekten Gäste.

dsc_0542.jpg

Ich muss ja gestehen, ich koche nicht wahnsinnig gerne. Die Alltagskocherei ist reine Pflichtübung (mir bleibt nix anderes übrig, weil ich halt auch so gerne esse), daher wähle ich die Rezepte nach dem Prinzip: möglichst unkompliziert und halbwegs gesund. Wie meine Kreationen so schmecken? Der beste Ehemann von allen erfreut sich daran, bei Tisch liebevoll zu stänkern. (Ein schönes österreichisches Wort, das laut Duden bedeutet: mit jemandem/etwas nicht einverstanden sein und daher – mehr auf versteckte, nicht offene Art – gegen ihn/dagegen opponieren.) In Wahrheit findet er’s, glaube ich, eh ganz gut, immerhin isst er alles, was ich ihm vorsetze, solange es kein Grießschmarrn ist… Meine Söhne sind überhaupt seit jeher wunderbar allürenfrei, was die Menüabfolge betrifft, was sie schon als Kleinkinder zu im Freundeskreis beliebten Gästen beim Mittagstisch machte, sodass sie gerne auch als Vorbilder für die anderen Kids herbeigezogen wurden. Denn sie essen fast alles, lieben österreichische Hausmannskost von Oma und Urli genauso gern wie scharfe indische Küche oder Muscheln und Scampi und verweigern weder grünes Gemüse noch Salat. Dass ich in meinen „Nur-Hausfrau“- und Teilzeit-Job-Jahren oft frisch (wenn auch möglichst zeitsparend) gekocht habe, hat sich ausgezahlt. Das dämmerte mir, als mich mein Großer nach seiner ersten Schulschikurs-Woche fragte: „Mit welchen wohlschmeckenden, wunderbaren Gerichten werden eigentlich meine Schulkollegen verwöhnt und bin ich der einzige, der zu Hause irgendeinen lieblos zusammengemanschten Fraß bekommt?“ Er war nämlich einer der wenigen gewesen, denen die Schikursküche mit frisch gekochten, kindgerechten Gerichten wie Spaghetti Bolognese und Geschnetzeltes mit Reis vorbehaltlos geschmeckt hatte. Die Gaumen seiner Schulkollegen der Generation „aromaverstärkte Fertigpizza“ waren dagegen nicht maßlos verwöhnt (alle Haubenkoch-Mütter mögen mir an dieser Stelle verzeihen), sondern offenbar irritiert, statt der zehn künstlichen Geschmacksverstärker eines Tiefkühlmenüs plötzlich mit 100 unterschiedlichen natürlichen Aromastoffen konfrontiert zu werden.

dsc_0555.jpg
Nach dem Erntedank-Fest in Hohenau

Wenn wir Gäste haben, stehe ich ungleich lieber in der Küche. Von Leidenschaft zu sprechen, wäre jetzt zwar übertrieben, aber Freude macht es mir schon, etwas Neues auszuprobieren, ein bisschen zu experimentieren und ein außergewöhnliches Gericht zu kredenzen. Vergangene Woche, als wir in Strasshof Helan und Don Bosco wiedersahen, fragte ich: „Was soll ich denn für euch kochen?“ Denn ich weiß, dass in Don Boscos Familie niemals europäisch gekocht wird und es in der Umgebung von Pagandai Kootu Road in Tamil Nadu weit und breit kein Lokal mit internationaler Küche gibt. Andererseits hat Don Bosco fünf Jahre lang in New York studiert, er und Helan sind nicht zum ersten Mal in Europa und vielleicht wollen sie sich ja hier in Österreich durch sämtliche traditionelle Gerichte von Schnitzel bis Palatschinken kosten? Schließlich haben Christoph und ich auf Reisen noch in keinem Land der Erde plötzliches Verlangen nach Schweinsbraten oder Grammelknödel gehabt.

Im Zweifel gegen Koriander

 

Aber Don Bosco meinte: „Please, buy chicken and fresh Coriander, I will cook Tamil food for you.“ Na gut, ich habe also Hühnerkeulen gekauft, jede Menge Paradeiser, frische Chilis, Basmatireis, rote Linsen, Ingwer, Ghee (geklärte Butter) und Joghurt. Meinen Matthias, der fast alles isst, nur keinen Koriander, hab ich auf den Wiener Naschmarkt geschickt, wo er ein großes Büschel von dieser intensiv riechenden Gewürzpflanze kaufen musste. „Ich hab dir den Koriander mitgebracht, er verstinkt deine ganze Küche. Ich hoffe du bist jetzt zufrieden“, las ich Freitagnachmittag in seiner launigen What’s App-Nachricht, während ich noch in der Redaktion mitten in der Zeitungsproduktion war.

IMG_0765
Helan, Christoph und Don Bosco. Die Männer im Dhoti.
IMG_0813
Männer-Palaver in Don Boscos Vorgarten

Den ganzen Samstag verbrachten wir von der Früh weg mit unseren indischen Gästen. Und die Family hatte viel Spaß mit den beiden herzlichen Freunden, deren Leben der Hilfe für Armen gewidmet ist (sie gehören zu den Hauptträgern des österreichisch-indischen Hilfsprojekts Hand in Hand), und die zugleich auch für jeden Spaß zu haben sind. Als es ans Kochen ging, wechselte Helan erst einmal ihre Kleidung und zog statt des Saris einen bunten Churidar an und auch Don Bosco präsentierte sich Minuten später in seiner typischen „Hauskleidung“, wie wir ihn in Pagandai Kootu Road jeden Abend erlebt hatten. Nur der Dhoti (indischer Wickelrock für Männer) fehlte.

DSC_0535

Dann gings ans Schnippeln, Würzen, Rühren, Braten und Brutzeln. Ein Heidenspaß! (Darf man das in Gegenwart von christlichen Priestern sagen? Warum nicht!) Während mir Don Bosco und Helan Tipps zur tamilischen Küche gaben, bereitete ich Dal (North Indian style) und Spaghetti mit Auberginen und Oliven nach einem original-italienischen Rezept einer Freundin aus Südtirol zu. Denn die beiden lieben nicht nur ihre heimische Küche sondern auch italienische Nudeln.

Wie es war? Unglaubliche Geschmacksvielfalt, die uns auf eine mentale Reise nach Pagandai Kootu Road in jenes Haus in einer Seitengasse der Hauptstraße schickte, wo wir von der ersten Sekunde an als Freunde empfangen wurden, gemeinsam mit der großen Familie im Wohn-Schlaf-Esszimmer am Boden gesessen sind und jeden Abend gemeinsam die unterschiedlichsten Gerichte genossen haben. Wusstet ihr, dass Essen wie eine schamanische Reise sein kann? Du kannst in der Sekunde jeden beliebigen Ort der Welt besuchen. Rieche, koste und schließ‘ die Augen.

Chicken with Coriander, Tamil style:

Hühner-Oberkeulen mit den Knochen in kleine Stücke schneiden, waschen, salzen und mit Gelbwurz, gemahlenem Koriander und Chilipulver bestreuen. In einem großen Topf Öl heiß werden lassen, schwarze Senfkörner und gehackte Zwiebel anbraten, frische gehackte Chilis, roten kleingeschnittenen Paprika, frischen geriebenen Ingwer und gehackte Knoblauchzehen zufügen und mitbraten, gemahlenen Kreuzkümmel, eine in kleine Stücke geschnittene Zimtstange, Nelken und gehackte Paradeiser dazugeben, weiterbraten. Dann die Hühnerstücke und eine große Portion frisch gehackten Koriander daruntermischen, alles gut durchbraten. Mit Wasser aufgießen, sodass alles gut bedeckt ist und eine halbe Stunde lang ohne Deckel köcheln lassen. Zum Schluss Garam Masala unterrühren.

Übrigens: Sogar die Anti-Koriander-Fraktion meiner Familie hat mit Begeisterung geschlemmt. Vielen Dank, Helan und Don Bosco, für diesen wunderbaren Tag!

dsc_0540.jpg

Hinterlasse einen Kommentar