Hansestadt-Sightseeing, Kite-Surfing und Schrebergartening

Was haltet ihr eigentlich von Dauercamping? Ich meine die Hardcore-Variante mit Holzzäunen um die Grünfläche vor dem Wohnwagen, mit Gartenzwergen im Steingarten und Häkeldeckchen am Fernseher, Nippes am Regal und Blumentöpfen am Fenster. Ich hab‘ die Dauercamper immer belächelt – bis heute. Denn wenn ich ehrlich bin, entwickelt sich unser Leben gerade genau diese Richtung. Wir leben in Maha Nanda, die wie eine Raumkapsel, in der wir uns mittlerweile häuslich eingerichtet haben, über dem Parkplatz vom Jachthaven Friese Hoek schwebt. An der Bordkante stehen die Töpfe mit Schnittlauch und Petersilie, die frisch gewaschene Wäsche hängt an der Reling und in der Früh steigen wir über die Leiter runter, ausgerüstet mit Zahnbürste & Co. und schlappen verschlafen Richtung Waschhaus. Fehlt nur noch der Gartenzaun.

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Jachthaven Friese Hoek, Lemmer, Niederlanden

Das tägliche Workout – das wir eh nie gemacht haben – können wir guten Gewissens stanzen, denn über die Aluleiter klettern wir 30-mal am Tag und trainieren dabei zusätzlich unseren Bizeps, da wir Kabelrollen, Werkzeug, Wasserkübel, Wasserschlauch, Möbelteile und den täglichen Einkauf über ebenjene Leiter transportieren. Zwischendurch strample ich gefühlte dreißigmal am Tag mit dem Mini-Klapprad gegen den Wind (der Wind ist immer gegen mich) in die Stadt, um dieses und jenes für den Meister zu besorgen: Winkel, Schrauben, Sicherungen, Kabelbinder, Isolierungen… Was der versierteste aller Ehemänner eben so  braucht, um Maha Nanda so weit zu bringen, dass wir von diesem Parkplatz wegkommen.

Jeden Abend wird der Salon gesäubert und gemütlich gestaltet, um ihn jeden Morgen in eine chaotische Rumpelkammer, die zugleich als Werkstatt dient, zu verwandeln. Das macht Christoph seit beinahe drei Wochen so und DIE LISTE wird trotzdem nicht kürzer. Heute haben wir gemeinsam mehrere Varianten versucht, die Kabel der Ankerwinde vom Ankerkasten im Bug bis zur Batterie im Heck zu legen. Siebeneinhalb Meter Kabel – zwei Stunden Arbeit. Jetzt liegen sie dort, wo der Captain sie nicht wollte: in der Bilge. Fehlen die Batterie für die Winde, die Kabel zu dieser Batterie, das Anschließen der Winde, der Windgenerator, das Solarpaneel und  – ach ja – den Boiler gibt’s auch noch nicht.

Sehr lieb, falls wir jetzt euer Mitleid geweckt haben, aber gar nicht notwendig, denn wir sind halt wie alle Langfahrtsegler ein bisschen sonderbar und hackeln gern von früh bis spät wie die Werftarbeiter, denn immerhin haben wir ja ein Ziel vor Augen. Der Atlantik wartet und wir bewegen uns in winzigkleinen Schritten Richtung erste Etappe: das Kranen.

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Mirnse Kliff, IJsselmeer
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Mirnse Kliff, IJsselmeer

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Außerdem lassen wir es uns zwischendurch richtig gutgehen. Am Ostermontag, dem letzten Tag, den wir gemeinsam mit Veronika und Daniel verbracht haben, nutzen wir das noch vorhandene Auto, um einen Abstecher nach Stavoren zu machen. Am Weg dahin sahen wir an der Küste unendlich viele bunte Drachen am blitzblauen Frieslandhimmel fliegen. Da mussten wir hin. Wir gelangten zum Mirnse Kliff, einem beliebten Kite-Surf-Strand. Das Kliff entstand in der vorletzten Eiszeit, als von Skandinavien große Felsbrocken über die Eisplatten bis an die Küste transportiert wurden, von einem imposanten Steilhang ist aber schon lange nichts mehr zu sehen. Über grüne Weiden, begrast von Kühen und Schafen, geht es bis zur Küste, wo die Wiese lediglich sanft abfällt und in einen Standstrand mündet. Der ist bevölkert mit Kite-Schirmen so weit das Auge reicht und am Wasser ziehen Kite-Könner elegante Kurven während Anfänger ihre kurzen Versuche, sich am Bord zu halten, meist unelegant mit einem Sturz ins hüfthohe Wasser beenden. Für Laien ist es erstaunlich, dass in diesem Wirrwarr an Kites und Leinen kein unentwirrbares Knäuel entsteht.

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Hafen von Stavoren, Friesland, IJsselmeer
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Hafen von Stavoren, Friesland, IJsselmeer

 

Stavoren entstand Jahr 900 und erlangte 120 Jahre später die Stadtrechte, war sogar ab 1385 Hansestadt. Der Import von Getreide aus den Ostseeanrainerstaaten war der wichtigste Wirtschaftszweig der Stadt, in der eine zeitlang die friesischen Könige residiert hatten. Der Ort gehört zu den elf friesischen Städten, obwohl er nur 950 Einwohner hat.

Stavoren erstaunte uns uns mit Sonnenschein. Dreimal waren wir bereits in dem kleinen Fischerort und jedesmal – egal ob Mai, Juni oder September – war’s saukalt, bewölkt und windig. Diesmal war alles anders und wir genossen die ersten Minuten unseres großen Planes: ein Jahr Sommer am Meer.

 

 

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Hafen von Stavoren, Friesland, IJsselmeer

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