Woher kommen bloß die Löcher in unserem Boot?

Constantin hämmert gerade Löcher in den Rumpf von Maha Nanda. Mit einem elektrischen Meißel. Der Lärm ist ohrenbetäubend, des Captains Blick ziemlich entsetzt. Aber was sein muss, muss sein.

Constantin rückt Maha Nanda mit schwerem Gerät zu Leibe.

Das schönste am Segeln – für uns zumindest, die wir keine Regatta-, keine Partysegler sind – ist, Menschen kennenzulernen. Hauptsächlich andere Segler. Wir lieben es, uns auszutauschen, wir erfahren jedesmal etwas Neues, wir lernen dazu und vor allem können wir gar nicht genug von den Geschichten aus dem Leben der anderen erfahren.

Constantin ist eine internationale Mischung: griechisch, französisch, englisch, südafrikanisch – den Rest hab ich vergessen, außerdem ist er beruflich weltweit im Einsatz, spricht „ein paar“ Sprachen und lebt mit Jenny seit 20 Jahren auf seinem Stahlboot Stella-Ann, einer Ketsch-getakelten Colin Archer, Baujahr 1983. Das Boot ist beeindruckend, nicht nur wegen seines klassischen, schiffigen Designs, Sein Inneres ist komplett selbst gebaut und perfekt abgestimmt auf das Leben und die Bedürfnisse seiner Crew. Da hat alles seinen Platz – von den 30 Werkzeugkisten über die Nähmaschine bis zu den Fahrrädern, mit denen die beiden für den Iron Man trainieren.
Dass wir Jenny und Constantin kennengelernt haben, ist unser persönliches „Maha Nanda“, unser großes Glück. Denn die zwei sind Allrounder in Sachen Bootstechnik. Sie Segelmacherin, er Bootsbauer und als Bonus kommen 30 Jahre gemeinsames Seglerleben ins Spiel. „Mit 20 Jahren habe ich ihn in der Schweiz kennengelernt, habe meine Lehre abgebrochen, bin auf sein Boot gestiegen und über den Atlantik gesegelt. Mein Vater war „begeistert“, grinst Jenny. Und fügt hinzu: „Wir haben so viele verrückte Menschen kennengelernt – aber eigentlich waren wir auch nicht gerade normal. Unser Boot war sechs Meter lang.“

Aber was ist schon normal? Wir mögen die beiden – und nicht nur weil sie sich liebevoll unserer Maha Nanda annehmen. Naja, gut – mit dem Meißel darauf einhämmern ist vielleicht nicht gerade liebevoll, aber es ist genau das, was unsere Stahllady derzeit braucht. „Sie ist ja nicht aus Zucker“, lacht Constantin, der die Rostlöcher begutachtet. „Ist nicht so schlimm wie befürchtet sondern so, wie wir gehofft haben“, meint er dann. Mit einem Rostumwandler behandelt er die ungesunden Flecken des Rumpfes. Wenn wir das nächste Mal herkommen, muss Maha Nanda aus dem Wasser raus und dann werden wir entscheiden, ob schleifen oder sandstrahlen am Programm steht. Hängt vom Gesamtzustand ab, aber der Fachmann ist zuversichtlich.

Jenny und Constantin beim Tauchgang.

Zuversichtlich sind wir auch, was das Unterwasserschiff betrifft, denn auch da haben Jenny und Constantin ganze Arbeit geleistet und mit Spachteln den Bewuchs entfernt. Tja, da ist der bemühteste Captain von allen mit seinem Schrubber nicht weit gekommen, die Muscheln saßen ziemlich fest.

Sieben fleißige Anoden und eine faule

Wie sagt unser Freund Hartmut so schön: Du gehst nie so dumm schlafen, wie du aufgestanden bist. Ich habe diesmal einiges in Physik gelernt. Ja ich weiß eh, ich sollte es schon längst wissen, wir segeln ja nicht erst seit gestern, und dass es Elektrolyse auf Metallschiffen – hauptsächlich Alu-Booten gibt, ist mir grundsätzlich schon bekannt … Es hapert an den Details, hätte vielleicht in meiner Schulzeit nicht jeden Donnerstagfrüh die erste Stunde – Physik – schwänzen sollen … Aber jetzt weiß ich’s, in der Praxis ist sogar Physik irgendwie logisch. Wir haben Elektrolyse auf unserer Maha Nanda. Dramatisch ist es nicht … Wir haben in unserer Zeit in Portimao ein Alu-Boot gesehen, das aussah wie Schweizer Käse. Richtiger Lochfraß durch Elektrolyse, weil der Motor geerdet war. So schlimm ist es bei weitem nicht, aber handeln müssen wir dennoch.
Wir haben „nur“ einige kahle Stellen am Unterwasserschiff und zwar vornehmlich am steuerbordseitigen Vorschiff. Dort sitzt nämlich eine Opferanode, die keine Lust zum Arbeiten hatte. Im Gegensatz zu allen anderen Anoden, die sind ziemlich aufgebraucht, geopfert eben. Constantin hat sie alle abmontiert, die neuen liegen schon bereit zur Montage.
Opferanode? Ganz schneller Physikunterricht für Nicht-Segler: Das ist ein Trumm aus Metall – i nunserem Fall aus Zink, das am Unterwasserschiff angeschraubt wird. Sein Zweck ist, den Strom umzulenken, die Anode, die aus unedlerem Metall als der Rumpf bestehen muss, gibt somit Elektroden ab und wird oxidiert. Wenn sie verbraucht ist, muss sie erneuert werden. Warum eine von acht Anoden nicht gearbeitet hat, wissen wir nicht genau. Sie mag jedenfalls keinen Lack und kein Fett zwischen sich und dem zu schützenden Rumpf, sonst stellt sie die Arbeit ein oder beginnt erst gar nicht, wie unser besagtes Sorgen-Opfer-Kind.

Diese Anode wollte nicht ihre Arbeit tun.

Verliebt in das Meer und den Wind

Was ich noch gelernt hab. Wir liegen in Sachen Elektrolyse auf einem guten Platz. Wir haben einen bei Seglern eher unbeliebten Liegeplatz – nämlich nicht an einem der Stege, sondern direkt an der Hafenmauer – bekommen und da ist von Metall weit und breit nix in Sicht. Und neben uns liegt der perfekte Nachbar. Perfekt in jeder Hinsicht. Diego hat mit seiner Hidra III neben uns festgemacht. Die Hidra ist ein altes Holzschiff – ebenfalls metallfreie Zone!
Wir freuen uns aber nicht nur wegen des Schiffsmaterials über unseren Nachbarn, denn Diego ist nicht nur liebenswürdig und hilfsbereit, auch er hat spannende Geschichten zu erzählen. Sein Boot wurde 1966 in Genua gebaut und nach Venedig gebracht, er selbst stammt aus der Nähe, hat das wunderbare Holzschiff vor zwei Jahren gekauft und ist damit mit seiner Frau Cheti bis Gran Canaria gesegelt.

Diego stammt aus der Nähe von Venedig.


Im Golf von Cadiz wurde sein Ruder als Orca-Kinderspielzeug verwendet und völlig zerstört. Das ist jetzt kein Seemannsgarn, tatsächlich ist die Hidra nicht das einzige Boot, das wegen eines Orcaangriffs in Seenot geraten ist. Die Viecher treiben sich derzeit am Atlantik vor Gibraltar rum, wo sie auf Thunfischjagd gehen und außerdem ihren Jungen die Jagd beibringen. Eine übermütige Orca-Rowdy-Partie aus der Gruppe von ungefähr 60 Tieren hat sich auf Ruderanlagen von Segelyachten spezialisiert, die greifen sie gezielt an und bringen harmlose Segler in Seenot.
Diego ließ ein neues Ruder anfertigen und hielt erneut, unbeeindruckt aber doch mit gewissem Respekt, Kurs auf die Kanaren. Sein Vater war Kapitän, sein Großvater auch – kein Wunder, dass Diego ins Meer verliebt ist. „I love the wind“, strahlt er, als er erzählt, wie er von Gibraltar bei Vorwindkurs mit voller Beseglung zehn Knoten Fahrt machte. Fast wie fliegen fühle es sich an, wenn die Hydra vor dem Wind segelt, meint er. „This boat is my life“, sagt er und arbeitet jeden Tag von früh bis spät an seiner Hidra. Die braucht auch wirklich viel Aufmerksamkeit, noch viel mehr als unsere Stahllady. Aber sie ist wirklich eine Schönheit. Diego führt uns stolz durch ihr Inneres, die Elektronik, die Motoren, die wunderschönen alten Beschläge – alles original aus dem Jahr 1966.

Täglich reißt der Strom an Touristen, der – je nachdem ob wir Hoch- oder Niedrigwasser haben – neben uns oder über uns vorbeizieht, nicht ab. Und viele, ganz viele bleiben stehen und bewundern die Hidra. Posieren vor ihr, lassen sich fotografieren, als Urlaubserinnerung an diesen besonderen Ort mit seinen außergewöhnlichen Booten.


Vor unserer Maha Nanda – die jetzt zwar kein riesiges Rostloch aber dafür ein paar lackfreie schwarze Flecken mit hässlich ausgezackten Rändern aufweist – hat sich bisher noch keiner fotografieren lassen. Aber keine Sorge, Maha Nanda, wir sehen ganz viel Schönheit an dir. Deckhand Ulli hat beispielsweise die Reling auf Hochglanz gebracht und sämtliche Flecken vom nun wieder strahlend weißen Deck entfernt. Der Captain persönlich hat den Rumpf – wo noch Lack vorhanden ist – poliert, Holzteile wurden geschliffen und geölt, die Fender stundenlang auf weiß geschrubbt. Oh ja, wir schauen schon auf dich, Maha Nanda.

Reling und Deck strahlen – und Crew Ulli sowieso.

Sklavenarbeit und das große Glück

In ein paar Monaten wollen wir wiederkommen und unserem Bötchen einen neuen Anstrich verpassen. Was mich ein bissl frustriert ist, dass der ganze Hochglanz von Deck und Reling bis dahin wieder beim Teufel sein wird. Jetzt, wo wir die ganze Pracht genießen könnten, müssen wir wieder Abschied nehmen. Wenn wir zurückkommen, geht’s wieder von vorne los. Es soll Leute geben, die halten Yachtbesitzer grundsätzlich für reiche Schnösel. Die sollen mal unser Sklavensasein live miterleben. Ja eh, es war ja unsere Entscheidung. Kein Mitleid. Wozu auch? Wir sitzen gerade auf unserem eigenen Boot, das wir höchstpersönlich von den Niederlanden hierher gesegelt haben, trinken Kaffee und schmieden Pläne. Theoretisch könnten wir mit unserem schwimmenden Zuhause überall hin, wo Meer ist. Theoretisch zumindest. Das ist großes Freiheit, großes Glück. Maha Nanda eben.

Frühstück bei Sonnenaufgang – perfekt.
Der Fetzen – pardon, Hochdeutsch: das Segel – muss runter.
Bloggen unter widrigsten Bedingungen.

8 Kommentare

  1. Irgendwo da unten habe ich mich vor Jahrzehnten auch mal seglerisch rumgetrieben. Wenn ich mich recht erinnere, war Puerto de Mogan fuer uns der Absprungort rueber nach Teneriffa. Als wir morgens los wollten, wollte unser Motor nicht mehr. Und das am Anfang eines Drei-Wochen-Ueberfuehrungstoerns! Das Anlasser-Relais war defekt. Wir haben uns dann auf die Suche nach einer Volvo Vertretung gemacht, denn der Motor war ein Volvo. Natuerlich konnte man uns in der Volvo-Vertretung nicht helfen, denn die hatte ja mit marinisierten Motoren nichts zu tun. Haetten wir uns ja eigentlich denken koennen. Zum Glueck hatte ich zwei Leute an Bord, die sich mit Elektrosachen gut auskannten und wussten, dass man Schalter und Relais ueberbruecken kann. So war das Starten dann immer moeglich, allerdings mit einigem Aufwand verbunden: erst – falls jemand drin lag – den „Bewohner“ der Steuerbord-Hundekojen rausschmeissen, dann das Panel dort zum Motorraum oeffnen, und dann mit einem Schraubenzieher den Anlasserschalter kurzschliessen. Mir ist das nie gelungen, weil ich Angst vor den Funken hatte, die das machte, und ich dann immer ganz panisch die Hand mit dem Schraubenzieher zureuckgezogen habe – zu frueh foer den Motor.
    Liebe Gruesse, und viel Glueck fuer Eure Maha Nanda,
    Pit
    P.S.: die im Grunde bloede Suche nach einem Ersatzteil hat uns uebrigens genau den einen Tag gekostet, der uns am Ende fehlte, um das Ziel [Mallorca] zu erreichen. Wir mussten das Boot in Ibiza zuruecklassen, weil wir sonst unseren Heimflug nicht erreicht haetten.

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      1. Ja, liebe Ulli, das Zeitfenster war wirklich eng, aber wir hatten nur die (Schul)osterferien zur Verfuegung. Deswegen mussten wir auch unseren Rueckflug unbedingt erreichen und konnten nicht auf einen spaeteren ausweichen. Wir hatten enormes Glueck, dass wir auf Ibiza noch ganz auf die Schnelle einen „Inselhuepfer“ Flug nach Mallorca bekommen haben, und so unseren geplanten Heimflug geschafft haben.
        Liebe Gruesse,
        Pit

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  2. Habe wieder viel gelernt über Boote und Wale (habe Orca gegoogelt).Immer interessant und amüsant deine Berichte liebe Ulli und lass mir den dir liebsten aller Kapitäne herzlich Grüßen
    Ilse und Gerhard

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  3. Faszinierende Stories. Irgendwie beneide ich Euch, auch wenn ich nicht wirklich schiffstauglich bin. Aber Menschen und deren Geschichten kennen lernen gehört zu den interessantesten Dingen im Leben.

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