Stürmische Zeiten und wie wir die Lotsen von Rabat ausgetrickst haben

Sabah al khir aus Rabat! Und glaubt mir, liebe Leser, fast wären wir haarscharf an diesem Hafen vorbeigeschrammt. Nein, es ist nicht selbstverständlich dass wir seit Montag genau hier sind, wo wir am Samstag planten hinzukommen. Und warum auch sollten wir unsere Gewohnheiten ändern, wo wir doch seit Monaten von einer Überraschung ins die nächste segeln? Ruhig mal dahincruisen ist einfach nicht das Ding von Maha Nanda und ihrer Crew.

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Beim Start von Vila Real sind die Temperaturen noch frisch.

Dabei begann alles doch so friedlich und gut geplant. Seit Tagen, eigentlich seit Wochen, beobachteten wir die Windverhältnisse an der Straße von Gibraltar und stellten dabei fest, dass die Wetterfenster mit optimalen Voraussetzungen für die Überfahrt nach Afrika umso kleiner werden, je älter das Jahr wird. 50 Stunden guten Wind wollten wir, um die knapp 200 Seemeilen von Portugal nach Marokko entspannt bewältigen zu können. Klingt nicht nach Problem, ist es aber, wenn ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen vom Nordatlantik Richtung iberische Halbinsel zieht und seine Ausläufer bis Gibraltar und weiter ins Mittelmeer schickt.

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Wird schon wärmer. Die Crew setzt Segel.
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Setzt das Groß! Oder wie es auf gut österreichisch heißt: „Aufe mit’m Fetz’n!“

Aber dann, endlich kam die ersehnte Wetterprognose. Samstag Nordwind mit 3 bis 4 Beaufort, Sonntagvormittag bis -abend genau in der Mitte der Straße von Gibraltar Westwind mit 5 bis 6 Beaufort und Montagvormittag Westwind mit 4 Beaufort. Hurra, wir starten! Unsere Schweizer Freunde – Rita und Frank, die uns in Portimao so lange Zeit mit praktischer und mentaler Unterstützung begleitet hatten – schrieben aus Rabat: „Wir wollten längst auf die Kanaren, aber die Wetterfenster passen nicht. Wir starten in Gedanken mit euch, wir wachen in der Nacht mit euch, erwarten euch am Montag in Rabat und freuen uns riesig auf euch.“ Schön, solche guten Gedanken mit auf dem Weg zu haben.

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Kurzfristig fühlt es sich wie Sommersegeln an.

Samstagmorgen: strahlend blauer Himmel, leichter Nordwind. Die klare Nacht war frisch, aber als wir gegen 11 Uhr starten wird’s angenehm mild. T-Shirt-Wetter. Ein perfekter Segeltag, wie er auf sämtlichen Wetterkanälen und auch laut GRIB Files angekündigt war, wird von einer perfekten Segelnacht abgelöst. Ein bisschen wird die Perfektion durch die Länge der Nacht – sind jetzt doch schon 14 Stunden Finsternis – und die Kälte, die uns in jeweils fünf Kleidungsschichten plus Mütze und Schal zwingt, getrübt. Aber was tut man nicht alles für DIESEN Sonnenuntergang, DIESES Meeresleuchten und DIESEN Sternenhimmel!

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DIESER Sonnenuntergang!
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Der Captain genießt und schweigt.

Am Sonntag um 9 Uhr dreht der Wind wie prognostiziert auf West und frischt auf. Alles nach Plan! Wir haben den Tag davor vorgehalten (unseren Kurs nicht direkt auf Rabat sondern weiter westlich gesetzt), in dem Wissen, dass halber Wind unsere Maha Nanda ordentlich nach Osten versetzt und und daher zu ungemütlichem Am-Wind-Kurs zwingt, um nicht in Tanger zu landen. Am Wind fährt unsere stählerne Alte aber nicht so gern, daher ist Vorbeugen immer noch die beste Taktik. 

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Auch der stärkste Mann braucht mal eine Pause.

Bis jetzt ist alles gut. Was heißt gut! Es ist perfekt, denn der Wind ist ein wenig stärker als angekündigt, wir kommen schneller voran als geplant und rechnen schon heimlich nach: Wenn das so weiter geht, brauchen wir nur 45 Stunden und sind um 8 Uhr vor Rabat. Besser kann’s nicht gehen, denn um 7 Uhr ist dort Hochwasser und bei Niedrigwasser wird der Hafen gesperrt, was sechs Stunden Wartezeit vor der Einfahrt bedeuten würde. Abwechselnd beobachten wir gebannt den Geschwindigkeits- und den Windmesser, die wachsenden Wellen und die dichter werdenden Wolken. Dazu mampfen wir die vorgekochte Minestrone (Vorkochen ist die halbe Miete, um Captain und Crew bei Laune zu halten) und freuen uns über jede gewonnene Meile.

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Zwiebellook macht fröhlich. Nach und nach kommt eine Schicht dazu.

Gegen 11 dreht der Wind auf Südwest und nimmt ebenso wie die Welle zu. Das war so nicht abgemacht, Poseidon, murmelt der Captain und ändert fluchend Segelstellung und Kurs. Jetzt müssen wir doch am Wind segeln und es wird immer schwieriger, Rabat anzusteuern. Würde es nach Maha Nanda gehen, würde sie jetzt gern ein bisschen abfallen und die Küstenlinie östlich von Rabat anlaufen. Jedoch will der Captain partout nach Rabat und bist du nicht willig so brauch ich Gewalt. Der Wind erreicht Böen bis Windstärke 7, die Wellen bilden Schaumkronen, Maha Nanda dreht immer wieder ihre Nase in den Wind. Dann killlen die Segel, ein nerviges Knattern ertönt, der Bug wird auf einen Wellenberg gehoben, dann geht’s in rasanter Fahrt abwärts ins Tal hinein, die Gischt klatscht über die Sprayhood bis ins Cockpit und in den Salon, in kürzester Zeit  ist nichts mehr trocken. Von den Pölstern bis zu den Zehen des Captain ist alles Salzwasser-getränkt. Jetzt zwingt Autopilot Pierre Maha Nanda wieder auf Kurs, sie fällt um ein paar Grad ab, die Segel stehen wie eine Eins, eine Böe fährt ein, die Yacht macht einen Satz nach vor und hebt beinahe wie ein Flugzeug ab. Und weil jetzt auch Windgenerator Sebastian so richtig Gas gibt, klingt es, ,als würde eine Turbine auf Maha Nandas Heck starten. Die rasante Fahrt dauert nur so lang, bis Maha Nanda wieder anluvt, die Segel knattern und das Spiel beginnt von vorn.

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Jetzt wird’s aber ungemütlich.

Das Szenario dauert Stunden und ändert sich auch nicht mit Sonnenuntergang. Wir  binden mal vorsichtshalber das erste Reff ein, denn später, in stockdunkler Nacht, will keiner von uns beiden bei mittlerweile drei Meter Welle am Vorschiff herumwurschteln. Christoph und Crew granteln inzwischen schweigend vor sich hin. Jeder hat, in seiner Ecke unter die Sprayhood gekauert, die Windkarte von „Windy“ vor seinem geistigen Auge; diese verdammte Prognose, die für heute gegen Abend südlich der Straße von Gibraltar abnehmenden Wind verheißen hatte. Zwischendurch werden die Böen schwächer. Aufatmen… Zu früh gefreut, denn der Wind hat offensichtlich nur kurz Atem geschöpft. Mal tief Luft geholt, um sich zu stärken und stärker wird er tatsächlich noch. Um 9 Uhr abends geh ich runter in den Salon und lege mich zumindest mal in die Waagrechten. Schlafen ist nicht möglich. Wie denn auch in einer Hochschaubahn? Um Mitternacht krabble ich auf, ziehe mir umständlich alle fünf Schichten an, dazu Schwimmweste und Lifeline und blinzle raus. „Ist der Wind endlich schwächer geworden?“ „Nein stärker“ kommt die lapidare Antwort und ich denke: „Typisch Christoph, der Mann der dramatischen Theatralik“, um mich dann mit eigenen Augen zu überzeugen. Wir messen bereits Böen mit über 9 Beaufort, also an die 48 Knoten aus Südwest und die Wellen beginnen zu brechen.

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Eine Salzwasserdusche gefällt?

Jetzt bin ich richtig wütend. Weil des Captain Stimmung eh nicht die Beste ist, halte ich mich mit Schimpftiraden zurück und verfluche ausschließlich innerlich sämtliche Wetterdienste, alle Meteorologen dieser Welt und das blöde Meer und den Sch…wind sowieso und im Besonderen. Drei Stunden sitze ich wie ein Ölgötze eingepickt im Cockpit während der Captain im Salon so tut als würde er schlafen (seine Darstellung überzeugt mich in keiner Weise). An Runtergehen ist nicht zu denken denn hier nahe Gibraltar ist enorm viel Schiffsverkehr. Von allen Seiten sehe ich Lichter auf uns zukommen. Oder bewegen sie sich weg? An uns vorbei? Achterlich oder vor unserem Bug? Ich muss verdammt genau schauen. Am besten sind die Kreuzfahrtschiffe zu erkennen, sie sind beleuchtet wie Christbäume und wirken wie glühende Raupen, wenn sie an uns vorbeiziehen. Weniger geheuer sind uns dagegen die marokkanischen Fischerboote. Ihren Netzen – lange, schlecht gekennzeichnete Barrikaden – müssen wir großräumig ausweichen, doch leider sind die Lichter der Fischerboote nicht immer klar zu deuten… alles nur eine Frage der Konzentration und Nervenstärke.

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Der Schein trügt. Nach Sonnenaufgang kommt der Regen. Am Horizont sehen wir das Segelboot „Puff the Magic Dragon“.

Um 8 Uhr geht die Sonne auf, zwar nimmt die Windstärke nicht aber aber dafür setzt jetzt Regen ein. Resigniert stellen wir fest, dass  sich unsere optimistischen Ankufts-Kalkulationen des Vortages in Rauch aufgelöst, besser gesagt mit Salz- und Regenwasser weggespült haben. Denn der immer südlicher drehende Wind hat unseren Speed gehörig gebremst und mittlerweile kriechen wir am Wind gegen die Wellen mit drei Knoten auf Rabat zu, das scheinbar immer westlicher von unserem Kurs wandert. Um zehn Uhr geben wir uns geschlagen. Vorsegel einholen, das gereffte Groß dichthalten, Motor starten. Wenn wir heute noch nach Rabat wollen, müssen wir uns die letzten 15 Meilen (fast) gegen den Wind vorwärtskämpfen. Der hat gegen 11 Uhr endlich ein Einsehen und pendelt sich auf 6 bis 7 Beaufort ein, dazu schüttet es wie aus Schaffeln, aber immerhin: Regen glättet bekanntlich die See. Christoph kocht gerade Tee, während ich das Piepsen unseres Pierre vernehme. Mist! Maha Nanda ist aus dem Ruder gelaufen. Gut, kann ja mal vorkommen, ich aktiviere den Autopiloten erneut, er quittiert das mit erneutem Piepsen. Dazu steht am Display irgendwas von „Rudergeber“. Jetzt muss der Bordtechniker her. Der ahnt sofort das Problem, öffnet die Abdeckung zur Ruderanlage und… Sch….! Der Wellendruck hat aus der Hilfspinne für den Linearantrieb – ein massiver Stahlschaft, an dem der Arm des Autopiloten sitzt – ein Stück ausgebrochen. Ein drei mal drei Zentimeter großes einen Zentimeter dickes Teil. Einfach weggebrochen. Dass der Captain bei der Entdeckung des Schadens jetzt nicht flucht sondern nur lapidar feststellt: „Ab jetzt steuern wir per Hand“, erscheint mir wundersam. Oder hat er angesichts des monatelangen Reparaturleides schon völlig resigniert? Leider entdecke ich just in diesem Moment der Freudlosigkeit einen Riss im Vorsegel. Beim Einholen hatte sich dieses einmal in die falsche Richtung gedreht und einen kleinen Bauch gebildet, dort flattern nun fröhlich ein paar Fetzen.

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Welle gegen Eisen. Die Welle hat gesiegt!

Halte Fritzchen tapfer stand… (ja ich bin mit Hatschi Bratschi großgeworden, stamme aus der Generation der Dinosaurier) bald sind wir in Marokko. Um 13 Uhr befinden wir uns zwei Meilen vor dem Hafen Rabat – sehen vor uns hinter der grauen Regenwand eine graue Erhebung. Ach wie schön ist die afrikanische Küste!

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Wenn Steuern keine Freude macht sieht das so aus:

Christoph funkt Marina Bouregreg auf Kanal 10 an. Dazu muss man wissen: Bei Niedrigwasser und ab zwei Meter Welle wird die Marina aus Sicherheitsgründen gesperrt, denn eine Barre zwischen den Molenköpfen erzeugt bei allen anderen außer optimalen Bedingungen brechende Dünungswellen, die Schiffe in Gefahr bringen können. Daher muss sich jeder, der die Absicht hat, einzulaufen, per Funk eine Genehmigung holen und dann auf eine Lotsenboot warten, das ihn bis zum Zollsteg der Marina hineingeleitet. „Marina Bouregreg, this is Sailing Vessel Maha Nanda, can you read me?“ Ja, man hört uns – und wir glauben unseren Ohren nicht zu trauen. Der Hafen ist und bleibt für heute gesperrt. Wird erst morgen geöffnet. Trotz mehrmaliger Versuche, zu intervenieren, beharrt der Hafenmeister auf die Sperre „It is very very dangerous, nobody is allowed to leave or enter the harbour.“ Es hilft nix, wir müssen weiter zum nächsten Hafen. 30 Meilen sind es bis Mohammedia, 30 Meilen gegen den Wind, bei Regen und Handsteuerung. Wir sind mittlerweile in der Stimmung „eh schon wurscht“ und drehen Richtung Südwesten ab. Christoph bittet den Hafenmeister, Rita und Frank von Gin Gin zu informieren, die Freunde würden auf uns warten und sich bestimmt Sorgen machen…

 

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Der Kleine hat sich mitten am Atlantik verirrt. Er hat die Nacht nicht überlebt.

Was wir nicht wissen: die beiden haben seit den Morgenstunden Kanal 10 eingeschaltet und den Funkspruch mitgehört. Als Rita mitbekommt, dass wir abgewiesen werden, stapft sie zornentbrannt in die Marina Office, wo sie den Hafenmeister zur Schnecke macht. Das kann Rita richtig gut, wenn sie in Rage ist. Was ihm einfiele, uns wegzuschicken! Ob er nicht wisse, welches Wetter sich da draußen abspiele und dass 30 Meilen mindestens weitere sechs Stunden Fahrt bedeuten würden, dass wir in der Finsternis ankommen würden, dass wir bestimmt erschöpft wären und dass seine Entscheidung blödsinnig und unverantwortlich wäre! 

Jetzt reicht’s!

Wir sind inzwischen eine Stunde von Rabat entfernt, ich gehe kurz auf die Toilette, was mich wie immer einiges an Überwindung kostet, denn die Welle hat erneut zugenommen und wir schaukeln in den Wasserbergen, torkeln in alle Richtungen. Habt ihr schon mal versucht, in einem Tagada die Hose – besser gesagt vier Hosenschichten – runter und dann wieder raufzuziehen? Irgendwann brauchst du für kurze Zeit beide Hände und das ist der Moment, in dem du gegen das Schapp knallst. Oder gegen den Verbandskasten. Oder gegen die Tür, die dann auffliegt sodass du dahinter gegen die Wand fliegst. Ich trete wütend gegen die Tür, dann gegen die Wand. Dreh mich um, traue meinen Augen nicht. Die Kühlschranktür steht weit offen, der Kühlschrank ist leer. Sein gesamter Inhalt und das Zwischenfach haben sich über den Boden des Salons verteilt und der Schuldige ist schnell ausgemacht. Ist auch nicht schwer zu finden, denn ich bin es nicht! Christoph hat vergessen, den Sicherheitsriegel, den er persönlich seit unserer ersten rauen Überfahrt angebracht hatte, zu schließen. Fluchend krieche ich am Boden herum, werfe ich alles, was ich auf die Schnelle greifen kann in hohem Bogen in den Kühlschrank, wische klebrige Eierpampe und Joghurt auf. Mit einem Badetuch, denn das liegt gerade griffbereit und ich habe keine Lust, nach Fetzen zu kramen.

Dann schau ich aus dem Niedergang und der Captain sieht so fröhlich aus. Ist das jetzt das erste Stadium des Wahnsinns? Nein, er freut sich gerade wirklich. „Ich habe eine Idee, wie ich den Autopiloten provisorisch reparieren kann“, ruft er strahlend…. Legt seine Stirn in Falten. Horcht auf den Motor, dreht den Gashebel vor und zurück, legt ihn auf Vollgas. Die Falten vertiefen sich. Oh nein, nicht der Motor. „Ist was mit dem Moto?“, piepse ich. Der Mann nickt grimmig. Der Bukh beginnt zu stottern, nimmt offensichtlich kein Gas. 

Ich tobe. Ziehe mich tobend an, fünf Schichten plus Mütze, Schal, Gummistiefel und Handschuhe. Schwimmweste, Lifeline. Krabble auf allen Vieren aus dem schwankenden Niedergang und sehe, dass der Captain bereits gewendet hat. „Mir reicht’s. Wir segeln zurück nach Rabat und die müssen uns jetzt einfach reinlassen. Ohne Segel und mit stotterndem Motor können wir nicht weitere 25 Meilen gegen den Wind fahren. Da kommen wir nie an.“

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Am Fluss Bou Regreg bei Rabat.

Déjà vu: Kurz vor der Einfahrt funken wir erneut die Marina an und erhalten die gleiche Antwort. Wir dürfen nicht rein. It`s very, very dangerous.“ Christoph erklärt wieder und wieder unsere Lage. Kein Pardon. Aber wir können ja vor dem Hafen ankern, hängt der Officer in einem Nachsatz an. Warum nicht gleich? Das machen wir. Bei drei Meter hohen Dünungswellen legt der Captain beim Segelbergen am Vorschiff eine seiner berühmten Breakdance-Nummern hin, während ich Maha Nanda kaum auf Kurs halten kann, da der Motor nur mehr mit minimaler Leistung arbeitet. Dann drehen wir ab auf die Einfahrt zu, die Lifeline wird ausgepickt, die Grab-Bag fest umklammert. Während die Dünung in unregelmäßigen Abständen zwischen den Molenköpfen bricht, versuchen wir einen günstigen Moment zu erwischen. Nicht ganz einfach, wenn du dich nur im Kriechgang bewegst und die Wellen dich nicht nur vorwärtsschieben sondern gleichzeitig nach backbord und steuerbord torkeln lassen.

Anker hält, hurra!

Christoph ist mein Held der Stunde. „Das schaffen wir“, verspricht er und steuert mit sicherer Hand unsere ziemlich mitgenommene Alte in den Vorhafen. Ja wir haben es geschafft und jetzt müssen wir rasch den Anker werfen, denn viel Platz haben wir nicht. Steuerbords und achtern der Wellenbrecher, voraus ein Strand, bevölkert von etlichen Surfern. Surfer sehen wir gar nicht gern am Ankerplatz, denn wo Wellensurfer, dort hohe Wellen – ist ja logisch. Wir haben nur 1,30 Meter Wasser unter dem Kiel, sind nahe am Strand. „Jetzt wirf endlich den blöden Anker“, kreische ich – nun am Ruder stehend – etwas unseemännisch  Richtung Bug, wo Christoph an der Ankerwinsch werkt. Der Anker fällt, der Anker hält. Maha Nanda ist in Sicherheit. Fühlt sich nur leider gar nicht sicher an, denn mit Schrecken sehen wir, dass die Wellenberge, die sich in der Einfahrt brechen und auf uns zurollen, immer größer werden.

Ratlosigkeit

Ein Surfer paddelt auf seinem Brett auf uns zu. „Francais, English?“, fragt er und erklärt uns, wir könnten hier nicht bleiben. Mit der Flut würden die Wellen auf vier Meter steigen. „Too dangerous.“ Und jetzt? Wir sind ratlos. Kein Problem, er würde in der Marina Bescheid sagen, ein  Lotse würde uns holen. Grinsend paddelt er davon. „Welcome in Morocco“, ruft er noch über seine Schulter zurück. Christoph und ich sehen uns an. Der weiß offenbar nicht, dass der Hafen gesperrt ist, sagen wir uns, als schon der nächste Surfer näherkommt. Gleicher Dialog, gleiche Ratlosigkeit. Doch jetzt sehen wir aus der Flussmündung, die zugleich die Einfahrt zur Marina bildet, einen fröhlich winkenden Feuerwehrmann auf einem Jet- auf uns zu sausen. Wir könnten hier nicht bleiben, zu gefährlich…. Ja, jetzt wissen wir es auch. Und nun? Er rauscht wieder ab. Ein Lotse würde gleich kommen….

Fünf Minuten später sehen wir das Lotsenboot aus dem Fluss rausfahren, ich werfe den Motor an, der Bukh tuckert müde, aber immerhin, er bemüht sich. Christoph holt den Anker auf, ich winke wie auf einem Flugfeld mit beiden Armen dem Lotsen zu. Warum bleiben die stehen? Sehen die uns nicht? „Fahr zu ihnen hin“, ruft Christoph, der noch mit dem Anker kämpft, und ich krieche im Schneckentempo in die Richtung der Lotsen, die sich zeitgleich in Bewegung setzen – allerdings weg von uns. Sie fahren aus dem Vorhafen aufs Meer raus und jetzt sehe ich da draußen ein Segelboot. Offenbar werden die gerade reingeholt. Und wir????

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Unser Feuerwehr-Lotse

Ich drehe ein paar Kreise im Vorhafen, da kommt der Feuerwehrmann, grinst immer noch über beide Ohren. Wir sollen ihm nachfahren, wir dürfen in den Hafen. Jawohl!!!! Wir dürfen!!!! Es ist 17 Uhr, als wir an der alten Festung von Rabat über den Fluss bis zum Zollsteg tuckern. Ruderboote und ein paar Fischer sind hier unterwegs, die Sonne lugt hervor, es hat zu regnen aufgehört. „Welcome to Morocco“, ruft der Feuerwehrmann strahlend und deutet uns an, am Zollsteg festzumachen. 

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Wir haben die Einfahrt geschafft!

Kaum liegen wir am Steg, hinter uns machen Belgier mit ihrem Segelboot „Puff the Magic Dragon“ fest, tauchen zwei Polizisten auf, kommen an Bord, es heißt, Formulare auszufüllen, Fragen zu beantworten. Als die beiden mit unseren Dokumenten und Pässen abziehen, tritt die Zollbehörde auf den Plan. Ähnliche Fragen, ähnliche Formulare. Der Drogenhund bleibt uns erspart. Ist auch besser so, denn der Arme fürchtet sich vor Booten und wir wollen den Hund nicht ängstigen. Die Zollbeamten ziehen ab, jetzt kommen die Mitarbeiter der Marina mit ihren Formularen. Plötzlich sehen wir eine bekannte Gestalt am Zollsteg winken, dahinter kommt noch jemand rufend und winkend gerannt. Frank und Rita jubeln, als sie uns sehen und nehmen uns in die Arme. „Wir haben den Funk mitgehört und dachten, dass nur „Puff“ draußen läge. Dann sagten unsere Stegnachbarn – eure österreichischen Freunde liegen am Zollsteg – und wir waren überzeugt, das müsse ein Irrtum sein, ihr seid doch am Weg nach Mohammedia“, sprudeln sie vor Freude über.

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Hier sieht doch alles friedlich aus.

Erst jetzt erfahren wir, dass in der Marina zwischenzeitlich einiges an Verwirrung geherrscht hatte. Zwar hatte man uns die Möglichkeit zu ankern empfohlen, allerdings war man davon ausgegangen, dass wir dies – so wie „Puff“ – außerhalb des Vorhafens tun würden. Denn die gefährliche Barre – Grund für Lotsendienste und zeitweilige Sperren -befindet sich nicht, wie wir dachten, bei der Flussmündung sondern bei jener Einfahrt in den Vorhafen, die wir allein bewältigt hatten. Dass wir uns bereits drinnen befanden, war in der Marina niemandem klar gewesen, zumal inzwischen ein zweiter Segler  – eben „Puff“ – um Einlass bat. Der Skipper und seine Frau waren beide seekrank und hatten, ebenfalls am Weg nach Mohammedia, auf halber Strecke umgedreht. Zunehmender Wind aus Süden hatte ihnen jegliche Chance, den Hafen in vernünftiger Zeit zu erreichen, genommen. Mit dem Argument, sie könnten wegen zu kurzer Kette draußen nicht ankern und hätten nicht genug Sprit für die Weiterfahrt, hatten sie die Hafenbehörde schließlich erweichen können, man öffnete die Einfahrt. Einigermaßen erstaunt erblickten die Lotsen dann nicht nur die eine Meile vor dem Hafen wartende „Puff“, sondern zusätzlich im Vorhafen unsere in den Wellenbergen tanzende Maha Nanda.

Nachdem wir am Zollsteg nach langem Palaver geklärt hatten, welches Schiff nun Probleme mit Sprit und Anker und welches Probleme mit der Maschine und dem Segel hatte, bekamen wir endlich unsere Liegeplätze zugewiesen. Frank kam gleich mal zur Anlegemanöver-Verstärkung an Bord, am Steg warteten sechs helfende Hände und in Windeseile lag Maha Nanda fest in der Box. Irgendwer legte noch die Spring – Christoph und ich waren’s nicht – und dann umarmten wir uns alle, die belgische Crew – ziemlich blass um die Nase – konnte auch schon wieder ein bisschen unter den warmen Wollmützen hervorlächeln.

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Nur wenige Dinge sind trocken geblieben.

Der Rest des Abends ist schnell erzählt. Erst gab’s einen Topf Spaghetti Bolognese (es geht nix übers Vorkochen, hab ich das schon erwähnt?), dann eine heiße Dusche und danach versorgten uns Rita und Frank im wohlig warm beheizten Salon ihrer Gin Gin mit heißem Tee. Haben wir dann wie die Steine geschlafen? Was glaubt denn ihr?

14 Kommentare

  1. Na das nenne ich einen Bericht! Danke! Ich fühle mit euch! Zuviel Wind, Kälte, Sorgen, alles naß, Gefühlskarusell rauf und runter, Angst ist natürlich auch dabei, morgens ungeduldig auf die Sonne warten, wütend auf alles, dabei machtlos, weil man weiß, daß man nicht aus kann und durch muß…..das kostet Nerven, ja das ist die andere Seite vom Segeln! Aber ihr lernt viel dabei und es schweißt zusammen! Alles Gute weiterhin und ich schaue jeden Tag ob es bei euch was Neues gibt;-) Jetzt ruht euch mal aus für die nächste Etappe!

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  2. Glückwünsche an den tapferen Captain und die unermüdliche Crew !
    Jetzt sollte das Wichtigste für Euch die Ruhe und das gründliche Studium des User Handbooks für Euren Dieselmotor sein.
    Nach kurzem googeln fand ich den Hinweis, daß unsauberer Diesel (oder Diesel-Wasser-Gemisch) den Motor stottern ließ. Kann doch sein, daß infolge wilder Schaukelei im Tank Seewasser und Diesel sich vermischt haben. Siehe: Owners-Handbook—BUKH-DV-36-RME.pdf auf
    https://bukh.dk/produkter/6-bukh-24-75hp-lifeboats/13-bukh-dv36-rme/

    Ich hoffe, der dänische Motor ist in Rabat nicht unbekannt.
    Viel Glück
    Herald

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    1. Ich finde das so schön, dass du so mitlebst! Vielen Dank! Christophs erste Vermutung war auch genau so wie du sagst unsauberer Diesel durch die stundenlange Schaukelei. Das hat jetzt auch jeder, der ein bissl Erfahrung damit hat, bestätigt. Wir haben auch gehört, dass der EU Bio Diesel für Schiffsmotoren problematisch ist, da er irgendwas Organisches wachsen lässt. Viele Segler müssen wegen des Bio-Diesel ihre Tanks reinigen lassen. Aber Christoph ist guter Dinge, vermutlich brauchen wir keinen Fachmann, denn mein persönlicher Bordtechniker wird jetzt mal den Filter tauschen und glücklicherweise haben wir noch in unserer Schatzkiste ein weiteres Wunderteil gefunden und Christoph baut noch einen Vorfilter ein. Segel und Autopilot sind bereits in Reparatur gegeben worden, hier ein Rabat sind die Leute unglaublich schnell und hilfsbereit und soooo freundlich. Wir fühlen uns absolut wohl. Haben ein Auto gemietet und sind gerade i Fes, eine fantastische Stadt! Liebe Grüße, auch an die Tante, Ulli und Christoph

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  3. Eure Eltern
    Christoph, das Allround-Talent, unterstützt vom tapferen Mädchen Ulli……….
    ihr schafft es ganz bestimmt, auf alle Fälle!!!
    Wir wünschen euch gute Erholung auf dem Festland Marokko, bei gesundem Klima und
    Viel Glück
    I.u.H.Gessinger

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    1. Klar schaffen wir das, wir sind ja nicht allein. Heute sind ganz viele Richtung Kanaren aufgebrochen und wir werden auch bald weiterfahren. Wir wollen allerdings nicht auf einem Stück, schließlich wollen wir noch mehr von Marokko genießen. Also geht es – wenn der Wind passt und der Hafen geöffnet wird – die Küste entlang Richtung Südwesten und man hat uns versprochen, es wird immer wärmer. Derzeit haben wir so an die 20 Grad und Sonnenschein, aber in der Nacht ist es ziemlich kühl. Der Heizstrahler funktioniert aber tadellos 😉
      Jedenfalls fühlen wir uns hier richtig wohl, die Leute in der Marina (Segler und Personal) sind unglaublich freundlich, es ist ein Vergnügen, von so vielen netten Menschen umgeben zu sein. Liebe Grüße nach Hause, viele Bussis von Maha Nandas Crew

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      1. Hola, hi, hallo ihr Lieben! genießt das Landleben und die Zuvorkommenheit der Leute (Segelkollegen und Marinapersonal). wir freuen uns mit euch, dass ihr Marokko und dessen Bewohner näher kennenlernen dürft !!!
        Alles Liebe und viele Bussis von zu Hause

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    1. Hi Robert, vielen Dank für das Feedback, freu mich immer über Lob. Hab natürlich gleich in deinen Blog schauen müssen und bin erst mal seeehr beeindruckt. Ich muss mir die Fotos mal in Ruhe anschauen – wenn wir wieder in Welten mit besserem WiFi sind 😉
      bis dann, liebe Grüße von Maha Nanda – derzeit in El Jadida, Ulli und Christoph

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