Der Navigator meines Vertrauens: Von Friesland über Bautzen nach Ramsgate

Nun sag, wie hast du’s mit der Navigation? Ist doch ganz einfach, wenn ich dem Captain zuschaue. Da beugt er sich über eine große Seekarte, mit allerhand geheimnisvollen Geheimbotschaften und Geheimzeichen in Geheimschrift, dann hantiert er flink mit zwei Dreiecken und einem Zirkel, rechnet ein bisschen herum und zack: Ich  bekomme eine Kursanweisung nebst der Information, wann wir das Ziel erreichen.

img_2012.jpg
Griechenland: im argolischen Golf vor Anker

Nein, ganz so naiv bin ich natürlich nicht, denn wer jahrelang segelt, lernt auch ohne offizielle Prüfung die Kartenarbeit. Trotz großräumigen Umgehens jeglicher Segelschulen sind mir rechtweisender Kurs, Missweisung und Besteckversetzung vertraute Begriffe, nur der Sextant ist für mich ein ehrfurchtgebietendes, mir völlig unerklärliches Ding, dessen Handhabung ich dem Captain überlasse, der offenbar jetzt mit 50 Jahren die Mathematik für sich entdeckt hat (jene Wissenschaft, der er vor über 30 Jahren zwischenzeitlich zur Verzweiflung von Lehrern und Eltern völlig entsagt hatte).

img_2010.jpg
Ostsee, Stralsund

Aber Kartenlesen ist doch nicht so schwer – finde ich. Andere sehen das anders, denn zu Zeiten, als das Navi fürs Auto noch nicht erfunden war, saßen Heerscharen an Beifahrern und Beifahrerinnen mit verzweifeltem Gesichtsausdruck vor schier unlösbaren Kartenrätseln und rätselten zu Himmelsrichtungen, Straßen- oder Ortsnamen. Niemals werden wir erfahren, wie viele Millionen Streitereien und Ehekrisen zwischen Beifahrer und Fahrer durch Kartenleseschwäche ausgelöst wurden. Es gibt aber auch echte Straßenkartenlesegenies, wie der ORF einmal in der Sendung „Versteckte Kamera“ bewiesen hatte, denn die Passanten waren nach dem Weg zum Stephansdom gefragt worden und konnten dessen Verlauf tatsächlich auf einem ihnen vor die Nase gehaltenen Schnittmuster (!) eines Modemagazins überzeugend beschreiben.

Ich selbst – muss mich kurz ein bisschen loben – bin eine verlässliche Beifahrerin und schicke meinen Captain selten in die Irre, ich kann mich jedoch erinnern, dass wir uns vor vielen Jahren in Südfrankreich permanent verfahren hatten. Lag wohl eher am irrsinnig schlechten Kartenmaterial gepaart mit meinen ähnlich schlechten Französichkenntnissen, eine unerquickliche Kombination, die zugegebenermaßen einige Male zu Irr- und Umwegen geführt hatte.

Auch mit meiner Mama bin ich mal einen winzigkleinen, kaum nennenswerten Umweg gefahren. Auf der Fahrt von Köln nach Wien achteten wir nicht auf den Straßenverlauf. Wozu auch! Bis Passau ging’s immer geradeaus auf der Autobahn und außerdem hatten wir Wichtiges zu besprechen: Mutter-Tochter-Gespräche, denn ich erwartete mein erstes Baby. Aber irgendwann fanden wir uns im dichten Verkehr auf der äußersten rechten Spur wieder, konnten nicht mehr rechtzeitig Spur wechseln und landeten über eine Autobahnabfahrt in… wir mussten uns erst orientieren. Welche Stadt? München! Wie um alles in der Welt konnte das passieren? Durch den Abendstau mühten wir uns wieder auf die Autobahn, im dichten Schneetreiben und in mittlerweile finsterster Nacht krochen wir den Riesenumweg über Salzburg nach Wien, beide schweigend, düster vor uns hinstarrend, innerlich kochend vor Wut über uns selbst. Die Babygespräche waren verstummt. Wir hatten uns beim großen Autobahnkreuz Nürnberg auf den beiden rechten statt linken Spuren gehalten. Tratschtanten!

img_2009.jpg
Der rasende Roland, Rügen 2001

Und sogar dem besten aller Navigatoren passieren kleine Missgeschicke. Unsere Kids waren noch beide im Kindergartenalter, wir am Weg von Rügen in die Heimat. Ein endloser Weg, wenn man zwei Zwerge bei Laune halten muss. Irgendwann nach Berlin übertrug ich Christoph die alleinige Verantwortung über die Navigation und setzte mich auf den Rücksitz um den beiden mit Vorlesen die Zeit zu vertreiben. Einfach geradeaus Richtung Süden auf der Autobahn bis Dresden, das würde mein Navigator wohl ohne gestrengen Kontrollblick der besten aller Beifahrerinnen schaffen? Dachte ich zumindest, bis der einsam schweigende Lenker, während ich beim gefühlt 23. Buch angelangt war, aus heiterem Himmel fröhlich rief: „Kinder, wir sind schon in Cottbus!“ Cottbus? Was machen wir in Cottbus? Die Atmosphäre im Auto war auf den nächsten 300 Kilometern deutlich abgekühlt…

Verfahren haben wir uns auch mal am Weg nach Swinemünde, aber immerhin haben wir auf diese Art die Charité in Berlin gesehen, das war der einstündige Umweg doch wert. Auch nach Lemmer sind wir schon mal über Bautzen gefahren. Sehr schön, dieses Kopaczow an der polnischen Grenze, aber ziemlich wenig los in der Gegend. Tja, wie wären wir ohne die Kartenlesefehlleistung meines Captain jemals da hin gekommen?

de9a7e4a-62a5-4371-9dce-6fb18181e6a9.jpg

Und trotzdem, ich vertraue ihm in Sachen Navigation. Ich glaube fest daran, dass wir nicht Richtung Bautzen segeln werden, wenn unser Ziel eigentlich Ramsgate lautet. Juhu! Am Freitag sind zwei Seekarten mit der Post gekommen. Eastern und Western English Channel. Ach ja, jetzt kommen die Berechnung der Strömungen und die Tide auch noch dazu. Es wird spannend!

 

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: