Autofahren ist reine Soziologie: fremde Länder, fremde Fahr-Sitten

Beim Autofahren gibt es nur eine richtige Geschwindigkeit: die eigene. Jene, die vor dir langsam fahren, sind „deppate Schleicher“, jene, die dich überholen, „hirnlose Raser.“ Das hab‘ übrigens nicht ich erfunden, sondern der österreichische Kabarettist Roland Düringer und ich muss ganz oft an sein Kabarettprogramm denken, wenn ich neben meinem schimpfenden Christoph im Auto sitze. Der sanftmütigste Ehemann von allen wird im Auto zum Wut-Lenker, wenn die anderen Verkehrsteilnehmer nicht g’scheit fahren – also nicht exakt seinem persönlichen Fahrverhalten entsprechend.

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Ist euch eigentlich schon aufgefallen, dass verschiedene Staaten landestypische Fahrweisen haben? Nein, das sind keine chauvinistischen Vorurteile, das sind Erfahrungswerte. Dass polnische Männer Wert auf ein dickes, PS-starkes Auto Wert legen und gerne auf’s Gas steigen, um ihre Männlichkeit und ihren Status zu demonstrieren, bestätigte uns – ein aus Polen stammender Bekannter. Oder man blicke auf unsere südlichen Nachbarn: In Süditalien gehört Hupen zum guten Ton auf den Straßen. Als Laiensoziologin ist das für mich sonnenklar: mehr Temperament, mehr Emotion und grundsätzlich mehr Lautstärke weisen Süditaliener im Vergleich zu uns Mitteleuropäern auf. Andererseits geht’s ja auf Deutschlands Straßen auch nicht gerade friedlich zu. Dass du auf Deutschlands Autobahnen, wenn du gerade mit 140 km/h auf der dritten Spur beim Überholen bist, plötzlich die Stoßstange eines Mercedes S-Klasse in deinem Kofferraum picken hast und die Lichthupe dich wie das Stroposkop in der Disco blendet, liegt aber weniger am unbändigen deutschen Temperament im Allgemeinen sondern eher am nichtexistierenden Tempolimit in unserem Nachbarnland. Der Freibrief zum Rasen entfesselt eben so manchen testosterongesteuerten Möchtegern-Hengst zu ungezügelter Demonstration seiner verlängerten Männlichkeit. Irgendwie arm, diese Männer, die ihre zu klein geratene körperliche Ausstattung mit ein paar PS verlängern müssen. Die Natur ist eben ungerecht…

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Spannend finde ich es wiederum, dass in den USA, dem Land der Waffen-Fanatiker, der Fahrstil so viel entspannter als bei uns ist. Zum Glück, denn man stelle sich vor, in Österreich hätte jeder zweite Autofahrer im täglichen 7-Uhr-Stau auf der Wiener Südosttangente eine Glock im Handschuhfach. Das Blutbad wäre vorprogrammiert! In Kalifornien ist cruisen angesagt, sogar im dichten Stadtverkehr von Los Angeles gibt es kein dicht dran Fahren, Abbremsen, mit der Lichthupe Blinken, Vogel Zeigen. Alles fließt, und auch im dichtesten traffic jam haben wir nichts von der in Wien so typischen Aggressivität des Südosttangenten-Stau-Stehers bemerkt. Gut, du kannst auch mit den in den USA üblichen Automatik-Getrieben nicht so schön cholerisch am Schalthebel herumreißen und den Motor beim Runterschalten aufheulen lassen.

Eine Herausforderung der anderen Art ist für uns der Linksverkehr. Den haben wir zum ersten Mal in Indien erlebt, allerdings sollten jene, die nur an europäische Verkehrsverhältnisse gewöhnt sind, das Autofahren in Indien tunlichts vermeiden. Da ist der Linksverkehr noch das Harmloseste. Ob du auf der richtigen Straßenseite fährst, ist in den Städten ziemlich egal, es kann dir jederzeit ein Auto entgegenkommen, oder ein Radfahrer, eine Riksha, eine Kuh… Nicht jedes Fahrzeug hat Scheinwerfer und nicht jeder Fahrzeuglenker eine driving licence. Ist auch nicht notwendig, denn bei Verkehrskontrollen kannst du mit ein bisschen Bestechungsgeld alles regeln. Als Europäer hast du aber auf Indiens Straßen geringe Überlebenschancen. Also vertrau‘ lieber den Einheimischen, steig in die Riskha, mach die Augen zu und bete!

In Schottland waren wir auf Hochzeitsreise (ist schon eine Zeitlang her, ich geb’s zu) und haben für zwei Wochen ein Auto gemietet. Von Edinburgh gings Richtung Westküste und am ersten Abend meinte Christoph: „Ach, jetzt hab‘ ich mich schon an den Linksverkehr gewöhnt“, um wenige Minuten später, als wir nach der Hausnummer eines Bed & Breakfast Ausschau hielten, auf der rechten Straßenseite zu landen. Ganz automatisch eben. Eine spezielle Herausforderung waren die rural roads im Nordwesten. Schmal und kurvig. Wenn dir dann urplötzlich hinter einer Kurve ein Auto engegenkommt, wohin weichst du dann aus? So ganz spontan?

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2 Kommentare

  1. Da kann ich Dir nur zustimmen. Gestern und vorgestern, auf der Fahrt von Fredericksburg/Texas nach Albuquerque/Neu Mexiko, habe ich mal wieder feststellen koennen, wie ruhig und entspannend das Fahren hier in den USA ist, so ganz ohne Draengler. Wie Du schon sagst: Lichthupe ist hier gaenzlich unbekannt, und die akustische Hupe fast. Da werde ich mich wieder schwer umstellen muessen, wenn ich im Januar fuer ein paar Wochen in Deutschland bin.
    Zu England und Schottland: die gleiche Erfahrung wie Ihr habe ich in Schottland gemacht. Auf einer einspurigen Strasse kommt mir jemand entgegen, und ich weiche ganz automatisch in die Park-/Ausweichbucht auf der RECHTEN Strassenseite aus.
    Ansonsten habe ich in England nur einmal die wirklich falsche Strassenseite erwischt. Das war in einer total dunklen Nacht, mit niemand Anderem zur Orientierung unterwegs, als ich von einem Feldweg in einer 180-Grad Drehung auf die Landstrasse gefahren bin und da prompt auf die rechte Strassenseite gezogen bin. Und mir einen Aufschrei von 4 Passagieren eingehandelt habe: „In England faehrt man LINKS!“ Da aber weit und breit niemand unterwegs war, gab es keine Probleme. Und ich bin ueberzeugt, dass ich auch auf die linke Seite gefahren waere, haette ich mich an anderen Verkehrsteilnehmern orientieren koennen. Das, so finde ich, erleichtert einem das Fahren auf der linken Seite naemlich ungemein: jeder faehrt ja links.
    Apropos „an anderen Verkehrsteilnehmern orientieren“: da habe ich einmal, als ich in Dover von der Faehre runtergefahren bin, wirklich ueberlegen muessen. Ich ziehe – korrekterweise – auf die linke Seite, der Fahrer von mir [aus Deutschland] auf die rechte. Da musste ich dann wirklich ganz kurz nachdenken, wer nun richtig faehrt. Aber der Mensch vor mir kam blitzartig auf sie linke Seite, als er ein entgegenkommendes Auto sah.

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    1. genau, du hast absolut recht! Solange man sich an den anderen Verkehrsteilnehmern orientieren kann, geht es noch. Kaum ist man allein unterwegs, tendiert man dazu, automatisch wie immer zu fahren. Ganz blöd ist auch das Abbiegen auf einer Kreuzung, wenn keiner vor dir ist. Da neigt man dann auch dazu, rechts weiterzufahren 😉

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