Das physikalische Wunder auf den Channel Islands

Captain Christoph widersetzte sich sämtlichen Naturgesetzen als wir zu den Kanalinseln unterwegs waren: Wir segelten Kompasskurs 360° – Maha Nandas Bug zeigte exakt Richtung Norden – der Wind kam aus 270° West – perfekter Halbwindkurs – und in dieser Konstellation segelten wir direkt auf Alderney zu, das ebenfalls auf 270° westlich von uns lag.

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Rechts vom Gefahrenzeichen sieht man deutlich die Strömung

Dieses Szenario ist nur auf einem Fleckchen der Welt möglich, im Ärmelkanal bei „The Race of Alderney“, dem Ort mit einer der weltweit stärksten Meeres-Strömungen. Offiziell liegt die maximale Stromstärke bei fünf Knoten, schreibt Tom Cunliff im Channel Pilot, in der Praxis kann er elf Knoten erreichen. Aus diesem Grund gibt es derzeit in unserem Seglerdasein eine oberste Prämisse: den Strom. Alle Planungen richten sich zuerst nach ihm, dann nach Wind und Wetter, denn wie wir vor Alderney gesehen haben: Ist der Wind gegen dich, bringt dich der Strom trotzdem (oder gerade deshalb) ans Ziel, jedoch nur, wenn du rechtzeitig reagierst und die unterschiedlichen Strömungen (ja, es gibt tatsächlich mehr als nur eine Strömungsrichtung) zu deinem Vorteil nutzt.

Auf unserem Weg von Cherbourg nach Alderney gelang uns dieses Kunststück perfekt, wir klopfen und gerade gegenseitig auf die Schultern. Eine halbe Stunde, bevor der Strom Richtung Westen kenterte, starteten wir – eine halbe Stunde deshalb, weil wir für das Durchqueren des riesige Hafenbeckens von Cherbourg, geschützt durch einen monumentalen Wellenbrecher, der mit fünf Festungen gegen feindliche Übergriffe verstärkt worden war, eine halbe Stunde brauchten. Dann schob uns der Strom in rasender Geschwindigkeit bis zum Cap la Hague, wo Maha Nanda ihre absolute Rekordgeschwindigkeit von über 10 (!) Knoten erreichte. Hier am Kap wandte sich die Strömung Richtung Süden und das mit solcher Kraft, dass wir um 90°, also eben Kurs Nord, vorhalten mussten, um direkt nach Westen und in den Hafen von Alderney zu gelangen.

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Am Cap de Hague kämpfen Giganten unter Wasser

Hier, wo die starken Ströme, Tide, Wind und Welle unter der Wasseroberfläche gegeneinander kämpfen, macht sich auch an ruhigen Tagen, wie wir ihn glücklicherweise hatten, an der Oberfläche die Schlacht der Giganten sichtbar. Immer wieder durchkreuzen wir Overfalls, plötzlich auftretende, chaotische, sich in alle Richtungen bewegende Wellen. Möglicherweise hat die unvermutet sprudelnde Meeresoberfläche gar keine physikalischen Ursachen sondern unter Wasser tobt hier gerade ein Meeresungeheuer in Krakenform – vielleicht haben seine Kids die Schulmauer mit Graffiti besprüht – und verteilt mit seinen Krakenarmen Watschen an seine Brut…

Naja, eine kleine Panne ist uns auch passiert. Aber ich sag’s gleich, Pierre ist schuld. Ach so, ihr wisst nicht, wer Pierre ist? Unser drittes Crewmitglied, der neue Autopilot, den wir nach dem charmanten Dünkirchner Bootstechniker benannt haben. Jedenfalls verweigerte Pierre aufgrund von starker Strömung und einem Winddreher plötzlich seine Dienste, Maha Nanda lief aus dem Ruder, das Vorsegel stand back und während Christoph auf’s Vorschiff eilte, um die klemmende Vorleine zu lösen, entdeckte ich querab eine durch eine Boje gekennzeichnete Fischreuse, auf die wir – antriebslos und durch den Strom versetzt – zielgenau zusteuerten. Für das Anwerfen des Motors war’s zu spät, wir hätten die Leine garantiert im Propeller gehabt – also trieben wir zwei Sekunden später in unser Schicksal hinein und hingen fest. Acht Tonnen Stahl, getrieben durch vier Knoten Strom, rissen an der Leine der Reuse, deren Schicksal hiermit besiegelt war. Des Captains Worte werde ich hier nicht im Detail wiedergeben, sie waren ziemlich… unfreundlich, mit dem Klappmesser des Marlspieker bewaffnet stieg er die Badeleiter hinunter und kappte zwei Leinen. Sorry Monseigneur Pecheur, es tat uns wirklich leid.

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Auch Braye Harbour ist mit einer mächtigen Hafenmauer gesichert.

Unserem Rekordtempo konnte dieser kleine Zwischenfall allerdings nichts anhaben, in Bestzeit liefen wir abends in Braye Harbour, den Hafen von St. Anne, der einzigen Ortschaft von Alderney, ein. Hier gibt es keine Steganlagen, wir machten an einer Muringboje fest und verbrachten den Abend und die Nacht wie in einer Wiege schaukelnd, während Maha Nanda, dem Gesetz der Tide folgend, ihre Nase erst Richtung Süd, dann Richtung Nord, wieder Richtung Süd und in der Früh beim Frühstückskaffee im Cockpit erneut Richtung Nord drehte. Aldernay ist nach Guernsey und Jersey die drittgrößte Kanalinsel, hier leben 2000 Menschen, aber etliche Kaninchen und Vögel mehr. Ein Naturparadies in Felsenform, einfach mitten in den Ärmelkanal gestreut, einsam, neblig und sturmumtost. Ein Fleckchen Erde mit spezieller, etwas morbider Atmosphäre.

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Der Wellenbrecher mit Festungsanlagen vor Cherbourg

Übrigens: die Welt ist ein Dorf und daher ist es klar, dass hier jeder jeden kennt. Wen wundert es, also, dass jemand von einem Ausflugsschiff aus, als wir den gigantischen Vorhafen von Cherbourg durchquerten, „Ulli, Ulli!“, rief? Unglaublich aber wahr: Meine Kollegin Sandra, ihres Zeichens Redaktionsleiterin von Korneuburg und meine Nachfolgerin als Weinviertelchefin, befand sich an Bord des kleinen Ausflugsschiffes, das gerade bei unserem Einlaufen in die Marina Cherbourg unseren Kiel kreuzte. Klar musste dieser unglaubliche Zufall mit Aperol an Bord von Maha Nanda gefeiert werden!

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Sandra und Roman zu Besuch auf Maha Nanda. Was für ein Zufall!
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Wir legten gegenüber der historischen Abfertigungshalle von Cherbourg an, wo schon die Titanic lag.

4 Kommentare

  1. Papa und Mama
    Bewundernswert finden wir wie schnell und effizient ihr mit eurer Mahananda diese Hürde bewältigt habt. Ullis Adlerauge und Christophs Können haben die Situation gerettet.
    Wir haben hier Wettersturz. (englisches Wetter) Wind und nur 24 Grad.
    Weiterhin viel Glück und Spaß. Das wünschen wir euch.

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    1. Ja es war knapp. Wir haben noch über Tom Cunliffs Satz „wenn der Skipper nicht aufpasst, landet er unfreiwillig in Guernsey* gelacht. Jetzt wissen wir, dass das nicht übertrieben war. 😘😘😘 Eure Seebärin mit ihrem Seebär

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  2. Eine Frage zu Pierre: ist das ein elektrischer Autopilot? Ich glaube mich zu erinnern, dass er wegen Eures Batterieproblems ausgefallen ist. Daher wuerde ich eben auf einen elektrischen tippen.

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