
Ankermanöver? Können wir. Das ist ein bisschen wie Autofahren. Wenn du nur oft genug an der Kreuzung bremst, blinkst, in die Kupplung steigst und runterschaltest, machst du das irgendwann automatisch. Na schön, das ist jetzt ein bissl übertrieben, ich geb’s ja zu, von gedankenverloren Ankern und automatisch die Winsch Betätigen sind wir noch ein bissl weit entfernt (kann mir gar nicht vorstellen, dass sowas überhaupt klappt), aber: Ankern können wir.
Unterhaltungsprogramm gesichert
Warum ich das jetzt behaupte? Weil wir einen zweiwöchigen Intensivkurs hatten. Nicht ganz freiwillig zwar, aber dafür umso härter. Ursprünglich nannte sich das Ganze ja Urlaubstörn in Griechenland, sehr romantisch. Nicht lachen, das geht auch, wenn man schon 30 Jahre lang ein Paar ist! Immerhin, es war unser erster Urlaub ohne Kinder – da darf es schon ein bisschen romantisch sein. Obwohl sie uns natürlich gefehlt haben. Ich bin glaub‘ ich keine Glucke, ich freu mich wenn der Nachwuchs erwachsen wird, seine eigenen Entscheidungen trifft und sein Leben plant (ist auch nicht schwer loszulassen, weil sie eh fast jedes Wochenende und auch sonst so zwischendurch gern nach Hause aufs Land kommen, meine zwei Fast-Wiener). Aber wir haben das große Glück, dass unsere beiden liebenswerte, charmante junge Männer sind – und obendrein herrlich unterhaltsam. Nein, in Wahrheit ist es kein Glück sondern erfolgreich gelungene Erziehungsarbeit mütterlicherseits, stimmt’s Christoph? :))
Wie dem auch sei, in den letzten gemeinsamen Urlauben, als sich die Themen schon längst nicht mehr um Sandschauferl-Prügeleien und die Fragen „Wo ist das nächste Klo?“ und „Warum werden die eigentlich nie müde?“ gedreht haben, hatten wir unser Kabarettprogramm gratis und rund um die Uhr gleich mitgebucht. Für den verbalen Schlagabtausch der beiden tät das Publikum im Niedermair viel Geld zahlen!

Captain Christoph und ich waren also in jenem Sommer zum ersten Mal nach über 20 Jahren allein unterwegs. Zwei Wochen von Athen über den saronischen Golf und Hydra zum Peloponnes bis Monemvasia und wieder zurück. Zwei Wochen Freiheit! Dachten wir. War ja auch so, nur war’s halt Freiheit mit Einschränkungen, denn das Schiff war ja nicht unseres, sondern eine gecharterte Jeanneau 32. Wir sind echt nicht pingelig, wenn es um Urlaubsannehmlichkeiten geht. (Das wisst ihr spätestens seit meiner Story: Die unglaubliche Reise in einem verrückten Wohnmobil.) Wir brauchen weder ein Fünf-Sterne-Luxus-Appartement noch täglich ein Haute-Cuisine-Sieben-Gänge-Menü. Mich stören keine verkalkten Armaturen oder fehlende Knöpfe auf der Bettwäsche. (Ich frag mich immer, wenn Reisende sich über derlei „unerträgliche“ Zustände im Hotel mokieren, ich welchen Luxuswohnungen mit Butler und Putzarmee diese Menschen zuhause leben müssen. Oder bin nur ich so eine schlampige Hausfrau?) Aber ein paar grundsätzliche Elemente sollten schon intakt sein und bei einem Schiff gehören da nicht nur das Segel und der Rumpf dazu – beides war zum Glück nicht löchrig – sondern auch der Anker ist ziemlich wichtig.
Theoretisch alles klar, aber…
Der war auch an Bord, nebst elektrischer Ankerwinsch, die ein bissl – na sagen wir griechisch – mittels Schalthebel, dessen Kabel, wenn nicht gebraucht, in die offene Luke der Eignerkabine geführt wurde und dann über unseren Köpfen baumelte. Die Luke ließ sich daher nicht schließen, zum Glück hatten wir kein schweres Wetter. War ja Hochsommer in Griechenland. Wer will da schon alle Luken schließen? Meine Aufgabe war es, wenn von meinen Captain der entsprechende Befehl kam, den Down-Knopf zu betätigen und dann gefühlvoll und im richtigen Tempo Ankerkette nachzulassen, bis der Befehl „Stop“ ertönte. In Griechenland wird in den meisten Häfen geankert, man liegt mit dem Heck am Kai. Eigentlich recht praktisch, man kann die Anlegemanöver auch ohne viel Übung gut zu zweit fahren.

Christoph und ich SIND die Anlegemanöver zu zweit gut gefahren. Und zwar ungefähr fünfzigmal in diesen zwei Wochen. Denn egal in welchem Hafen, in welcher Bucht, egal ob sandiger, felsiger, mit Seegras bewachsener Untergrund: Der Anker hielt nicht. In Plaka half uns ein verständnisvolles schwedischen Skipper-Ehepaar. Die beiden kannten etliche Ankertricks, keiner davon half uns. Wir mussten unser Schiff mit ihrem vertäuen, um nicht abgetrieben zu werden. In Kiparissi donnerten wir in der Nacht gegen die Kaimauer. Wir fuhren also des Nächtens erneut ein Ankermanöver, um gegen sechs Uhr früh wieder durch einen lauten Bumperer aus dem Schlaf gerissen zu werden. Aus dem gemütlichen Frühstück in der idyllischen Bucht wurde nichts. Wir legten genervt ab – und wer mich kennt weiß, dass ein Morgen ohne Frühstück schnell zum Morgengrauen wird, denn mit leerem Magen bin ich das wandelnde Elend, selbstmitleidig und ungenießbar. Das verspätete Frühstück gab’s dann in einer völlig einsamen Bucht – inklusive Morgenbad im blauen Wasser, durch das man bis auf den Meeresgrund sehen konnte. Da war ich wieder versöhnt mit Griechenland und der Jeanneau – und Christoph.
Unfreiwillige Nachtfahrt
Den worst moment of the trip erlebten wir schließlich in der Bucht vor Kilada. Wir waren den ganze Tag unterwegs gewesen – zwischendurch hatten wir motoren müssen, denn bei einem Zwei-Wochen-Chartertörn musst du eben genau am vereinbarten Tag im Heimathafen sein, egal wie der Wind weht. Aus einer hübschen Bucht, in der wir gemütlich Essen wollten, mussten wir fliehen weil – eh scho wissen – der Anker nicht hielt und wir unaufhaltsam auf die Nachbarschiffe zutrieben. Am Abend vor Kilada wollten wir endlich relaxed dinieren, ich kochte, Christoph beobachtete das Ufer. Wenn ich sage „leicht angespannt“ ist das etwas untertrieben. Die Untertreibung des Jahrhunderts. Kaum hatte ich das Essen serviert, wurde das Gesprächsthema einförmig: „Ich glaub‘ wir treiben auf den Engländer da neben uns zu.“ Hat du nicht auch das Gefühl, dass das Ufer immer näher kommt?“ „Die Boje da war voher aber nicht so nah steuerbord!“ Kurzum, der Anker hielt nicht. Aus dem Dinner wurde ein liebloses Nudeln-Runterwürgen zwischen Luken dicht, Motor starten und Anker bergen. Zu allem Überfluss zog eine Gewitterfront auf, die Sonne war untergegangen und wir hatten keinen Plan, wo der nächste sichere Hafen war. Keine Details, aber so viel sei verraten. Es war eine Nacht, in der keine romantische Stimmung aufkommen wollte.

Um drei Uhr morgens erreichten wir den uns völlig unbekannten Hafen Ermioni, fanden das allerletzte freie Platzerl am Molenkopf neben dem Leuchtturm, wo wir längsseits anlegten – nur nicht ankern! – und wurden um sechs Uhr früh von der ersten Schnellfähre geweckt, die wenige Zentimeter neben uns anlegte und deren Bugwelle unsere Jacht ordentlich in Schwingung versetzte. Die neugierigen Passagiere schauten von den Fenstern fünf Meter über uns direkt in unser Cockpit und bei der Abfahrt schickte man uns noch eine dicke schwarze Dieselwolke hinterher. Guten Morgen!
Ein weiteres unvergessliches Frühstück genossen wir in jener Bucht, in der wir eine Nacht lang ganz einsam gelegen hatten. Am Vormittag hatte sich ein Stück weit entfernt ein Fischer zu uns gesellt, der mit kleinem Boot und Angel den Sonntagmorgen genoss. Bis wir auch ihm und den Felsen dahinter gefährlich nahe kamen. Also erneut den Motor starten und schnell weg von hier – als der Captain mitten im Ablegen lautstark nach einem Messer verlangte. Nein er wollte nicht, wie ich im ersten Moment vermutet hatte, dringend seine Frühstückssemmel schneiden, er musste die Angelschnur kappen, die hatte sich nämlich mit unserer Ankerkette verheddert, sodass wir den Fischer samt Boot am Haken hatten und hinter uns her aus der Bucht heraus schleppten.

Wir kamen nach zwei Wochen wieder wohlbehalten in Athen an, als wir in der Charterbasis von unseren Ankerproblemen erzählten, schüttelten die Leute nur den Kopf. Offenbar lag es doch an unserem seglerischen Unvermögen… Wir zweifelten sehr an uns. Während wir am letzten Abend im Café saßen – mit Blick auf „unser“ Schiff, sahen wir plötzlich, dass sich zwei Männer an unserem Anker zu schaffen machten. Aha, sie überprüfen ihn doch! Da schau, sie montieren ihn ab! Und jetzt, das ist doch…! Da kam doch ein Techniker mit einem nigelnagelneuen Anker, der gegen den alten getauscht wurde. Die Erklärung, die Captain Christoph einforderte, war so einfach – und niemand der vielen Helfer, die uns wieder und wieder beim Ankern unterstützt hatten, hatte es bemerkt: Ein Bolzen war gebrochen, jener Teil, der verhindern sollte, dass der Anker komplett aufklappt und nicht mehr greift.
Unser Fazit:
1. Wir sind ja doch keine hoffnungslos unbegabten Landeier, es war nicht unsere Schuld.
2. Wir schauen uns jeden Anker vorm Ablegen ganz genau an.
3. Ankern haben wir gelernt.