
Schon bald werde ich Vollzeit-Seebärin sein, bis dahin bin ich hauptberuflich Journalistin. Ein ehrenwerter Beruf, wenn man ihn ernsthaft betreibt, aber ich weiß, dass es mit unserem Ruf nicht zum Besten steht, tatsächlich sogar zum Zweitschlechtesten – nach dem des Politikers. Lügenpresse, Fake News… wenn ich sowas höre, krieg ich einen echten Grant. Nicht etwa, weil die freie Presse alles darf und niemals falsch liegt, sondern ich verwehre mich gegen jede Form von pauschalen Diffamierungen. Das gilt für Gesellschaften, Religionen oder Berufsgruppen. Erzählt mit bitte nicht, dass alle Journalisten und Politiker Lügner, alle Muslime religiöse Fanatiker und alle Nigerianer, die in Wien leben, Drogendealer sind. Es gibt gute und schlechte Journalisten, manche von ihnen sind wahnsinnig gut, andere sind abgrundtief schlecht, und dazwischen gibt’s noch viel Spielraum.
Zeitzeugen aus dem zwölften Jahrhundert
Ich bin Lokaljournalistin und das bedeutet vor allem eines: Du bist so nah am Leser dran, dass kein Fehler ungestraft bleibt. Heißt: ein falscher Vorname, eine Jahreszahl verdreht, einen Ortsnamen nicht korrekt geschrieben, die Gemeindechronik Hinterniedertupfings aus dem Jahre 1152 falsch zitiert – und schon rufen Zeitzeugen, Betroffene, Empörte und höchstpersönlich in ihrer Ehre Beleidigte in der Redaktion an, um mich – mit nicht immer politisch korrekter Wortwahl – auf meine unverzeihlichen Fehler hinzuweisen. Wir Lokaljournalisten haben zwei Möglichkeiten: Beschwerden unserer Leser sind uns wurscht und wir schreiben, was wir wollen oder wir arbeiten dem journalistischen Ethik-Kodex entsprechend, recherchieren und schreiben korrekt, objektiv und wahrheitsgemäß. Ich persönlich arbeite nach zweiterem Prinzip und das habe ich schon so verinnerlicht, dass ich gar keinen Roman mehr schreiben könnte. Also, ich müsste mich glaub‘ ich furchtbar anstrengen, um nicht bei der Wahrheit zu bleiben und stattdessen völlig aus der Luft gegriffene Geschichten zu Papier zu bringen.

Tatsächlich habe ich meinen Wahrheitsgrundsatz derart verinnerlicht, dass er auch vor diesem Blog nicht Halt macht. Was mich zum Thema Blamagen bringt. Denn unlängst bin ich gefragt worden, ob mir die kleinen Pannen und Unzulänglichkeiten, über die ich öffentlich schreibe, nicht peinlich sind. Um es in Anlehnung an die Worte meines mit Entertainment-Genen gesegneten Sohnes zu sagen: „Auf der Bühne ist mir nichts peinlich.“ Na gut, ganz so ist es auch nicht, aber ich entscheide ja selbst, welche Zwischenfälle unserer Reisen ich berichte und welche ich weglasse und es ist doch so, dass wir alle gern über Missgeschicke anderer lachen. Wer noch dazu über sich selbst lachen kann, beweist Humor, und all die Dinge, die unsere Reisen auf unterhaltsame Weise mit Humor würzen (meistens nicht unmittelbar in der Situation, sondern erst hinterher, das geb‘ ich zu), sind ja keine Dramen. Denn eines ist klar: Auf See gilt: safety first. Niemals würde mein Captain, fürsorglichster Ehemann und Vater von allen, ein unnötiges Sicherheitsrisiko eingehen. Planung ist für ihn das A und O, sei es mit einer Männercrew, mit der Familie oder zu zweit allein auf Maha Nanda. Denn würden wir uns oder andere in Gefahr bringen, hörte der Spaß auf.
Spaßvögel und Wahrheitsbesitzer
Es bestünde allerdings auch die Möglichkeit, in diesem Blog ausschließlich von unseren gelungensten Manövern, den schönsten Häfen und besten Ankerplätzen, den höchsten Wellen und den romantischten Sonnenuntergängen zu schreiben. Allerdings habe ich darüber schon viel in anderen Blogs und Büchern gelesen. Nicht falsch verstehen. Die waren nicht langweilig, überhaupt nicht! Viele davon habe ich verschlungen, ich kann gar nicht genug Segelliteratur lesen, bin sowieso ein Bücher-Junkie. Aber das heißt ja nicht, dass ich auch ein paar amüsante Geschichten auf Lager hab, die geschrieben werden möchten. Ist halt nix für spaßbefreite Navigations-Wahrheitsbesitzer.

Tatsächlich gibt es in der Seglergemeinschaft – wie in jeder Community – ein paar unerträgliche Besserwisser. Jachteigner, in deren Adern Salzwasser fließt, das sie schon mit der Muttermilch aufgenommen haben, die sämtliche Reviere besegelt, die schlimmsten Stürme der Menscheits-Geschichte heldenhaft bewältigt haben und deren Manöver seit Anbeginn ihrer Seglerkarriere – also seit dem Kindergartenalter – immer zu Hundert Prozent Paradebeispiele höchster Kapitänskunst sind. Die Mehrheit der Segler ist sympathisch, sie hat schon etliche Fehler gemacht, aus diesen gelernt und ist nach Jahrzehnten auf hoher See immer noch nicht vor ebensolchen gefeit.
In meinem Blogeintrag „Der unromantische Griechenlandtörn, bei dem wir ankern gelernt haben“, hab ich über unsere kleinen Ankerpannen geschrieben. Jetzt kommt die Wahrheit: Ein Jahr später klappte jedes unserer Ankermanöver auf Anhieb. Jedes! So, das muss jetzt auch mal gesagt werden, auch wenn’s gar nicht lustig ist. Lustig war es dagegen, jenen Deutschen zu beobachten, der schon mit dem Ankermanöver begonnen hatte, als wir gerade in den Hafen einliefen und ein perfektes Platzerl zwischen einer Jacht, einem alten Fischerkahn und riesigen Molensteinen fanden, in das wir gekonnt hineinzirkelten. Der deutsche Skipper war noch immer mit seinem Manöver beschäftigt, als wir schon beim Anlegerbier saßen – und auch noch, als wir mit dem Dingi Richtung Badebucht unterwegs waren.

In die Kategorie Hafenkino fielen auch jene Engländer, die in jenem Hafen, in dem Christoph und ich binnen fünf Minuten das Ankermanöver gefahren und die Leinen belegt hatten, zu fünft drei Anläufe brauchten, um das gleiche Manöver zu fahren. Unser englischer Steg-Nachbar und Christoph, die vom Kai aus ihre Hilfe beim Verholen angeboten hatten, hatten sich sogar schon ein Bankerl geholt, um die Wartezeit bis zu ihrem Einsatz in entspannter Position zu verbringen.
Die Fehler der anderen
Dann waren da noch die Schweden, die wir im Hafen von Lefkas von unserem Liegeplatz aus beobachteten. Sie warfen Christoph die Heckleine zu – allerdings war diese an keinem Ende festgemacht. Die Liste ließe sich noch endlos fortsetzen, was zeigt: Bei den Seglern ist es wie bei den Journalisten. Es gibt gute und schlechte, großartige und katastrophale und dazwischen jede Menge Spielraum. Aber vor Fehlern ist niemand gefeit. Ich geb’s zu, wir lachen gern über misslungene Manöver und kleinen Hoppalas. Zugleich aber wissen wir, dass unser nächstes Manöver ebenfalls misslingen kann. Dann lachen die anderen. Und warum nicht? Es lebe der Slapstick.
