Auf Maha Nanda ist die Musik eingezogen. Musik aus allen Richtungen. Denn für unseren Sohn Johannes ist sie Grundbestandteil des Alltags und das so vielseitig und so ausgefallen wie nur möglich. „Alles außer Ö3“ ist seine Devise und so hören wir Otis Redding, Nina Simone, Randy Newman, Steely Dan, Curtis Mayfield, Georg Kreisler, Bobby Bland und Nick Waterhouse.

Musik genossen wir auch in Portugals Landesinneren. Wir statteten der Universitätsstadt Coimbra – einstmals zweite Hauptstadt Portugals – einen Besuch ab, wanderten durch die Altstadt, besichtigten die engen Gassen und kehrten schließlich in einem Fado-Lokal ein.




Der Fado von Coimbra unterscheidet sich von jenem aus Lissabon dadurch, dass er nur von Männern – hauptsächlich Studenten – gesungen wird. Schwarze Kleidung und ein schwarzer Umhang sind ein Muss, gesungen werden Balladen für die Liebste, aber die Liebe zur Stadt und politische Botschaften werden ebenso über den Fado de Coimbra transportiert. Begleitet werden die Sänger von der portugiesischen Gitarre (die Anleihe von der indischen Sitar genommen hat) und einer klassischen Gitarre.
Fado de Coimbra

Zurück an Bord von Maha Nanda: Auf hoher See erfreut uns unser privater Bordentertainer außerdem mit vortrefflich zum Besten gegebenen Chansons. Wir schaukeln bei „Der fette Elvis“ von Tim Fischer über die Wellen, ergötzen uns an Qualtingers „G’schupfter Ferdl“ und schunkeln im Takt der Wellen zu Bideli Buh. Während Johannes’ Bariton von seinem Platz am Steuerruder erschallt, höre ich vom Bug her schrille Töne. Dort sitzt der zwiderste aller Captains mit iPad und Ohrstöpseln und intoniert zu Hells Bells eine etwas ungewöhnliche Imitation von Brian Johnson. Mit AC/DC und Led Zeppelin versuche er seine Gereiztheit zu bekämpfen, erklärt er mir trotzig. Denn von Figueira da Foz bis Nazaré haben wir drei Meter Welle aber fast keinen Wind. Was dazu führt, dass Maha Nanda wie ein Korken in alle Richtungen tanzt, statt sich stetig vorwärts zu bewegen.

Ende gut, alles gut, am späten Abend sind wir – mehr oder weniger fröhlich im Chor singend – im Hafen von Nazaré eingelaufen. Fünf Minuten nach Schließen des Hafenbüros, eine Verspätung, die uns das Duschvergnügen versagt hatte. War aber auch schon egal, denn am nächsten Morgen übersiedelten wir ohnehin. Die Informationen im Online-Hafenführer seien nicht mehr aktuell, erklärte uns der Hafenmeister, der uns bei unserem Frühstück im Cockpit mit einem Zodiak besuchte und uns freundlich darüber aufklärte, dass wir zu gleichen Preisen aber mehr Komfort im Clube Naval festmachen könnten.

Nazaré ist ein pittoresker, malerischer Fischerort aber darüber hinaus noch viel mehr. Hoch oben auf der Klippe kleben die Häuser von Sitio, dem alten Stadtteil, eine Funiculare führt hinauf. Im 12. Jahrhundert wurde hier die Kirche Nossa Senhora da Nazaré gegründet, seit Hunderten Jahren war Sitio Wallfahrtsort, bis der Fischerort, der später direkt an der Küste entstand, im 20. Jahrhundert beliebtes Touristenziel wurde und den Wallfahrern den Rang ablief. Und ebenso wie Tausende andere Besucher liefen wir staunend über den Strand, wo die bunten alten Fischerboote liegen und die gesalzenen Fische zum Trocknen ausgebreitet werden, jene Fische, die später als traditioneller Bacalhau, als Stockfisch, in den Restaurants angeboten werden.


Traditionell kleiden sich die jungen Frauen in Nazaré in mehrere bunte Röcke, bei der Geburt jedes Kindes legen sie eine Rockschicht nach der anderen ab. Aber wenn ihre Männer auf See sind, fühlen sich die Fischerfrauen als Witwen und kleiden sich schwarz. So war es zumindest früher und früher ist noch nicht so lange her, denn immer noch sieht man in Nazaré Frauen in ihrer bunten Tracht, mit Tüchern am Kopf ebenso wie schwarz gekleidete Witwen. Und immer noch ziehen die Fischer ihre Boote vom Strand aus ins Wasser, immer noch ist Fischfang Arbeitsalltag in dieser Stadt, die vier Monate im Jahr von Fremden bevölkert und dann, wenn das Wetter rauer und die Wellen größer werden, in ihren Fischer-Alltag zurückkehrt.

Die Welle, ja die spielt ebenfalls eine große Rolle in dieser kleinen Stadt. Lange Zeit war die Küste nördlich von Nazaré als die „Bank, die Witwen macht“ bekannt. Der Canyon von Nazaré ist für diese Bezeichnung verantwortlich. Er ist eine von West nach Ost ausgerichtete 230 Kilometer lange und 5000 Meter tiefe Unterwasserschlucht, tiefer als der Grand Canyon, und endet direkt vor Nazaré. Der Canyon lässt riesige Wellen vor diesem Küstenabschnitt wachsen, denn bei entsprechenden Wind- und Dünungsverhältnissen bauen sich bis zu 25 Meter hohe Brecher vor Nazarés Steilküste auf. Vor knapp zehn Jahren entdeckten Big-Wave-Surfer diese Monsterwellen und heute wirbt der Ort mit den „größten Wellen der Welt“. Der Surfer Rodrigo Koxa ritt 2017 auf einer 24 Meter hohen Welle und brach damit den Weltrekord.

Zur Beruhigung aller besorgten Bekannten und Anverwandten: Wir erlebten Nazaré bei den harmlosesten Bedingungen, die man sich hier am Atlantik nur vorstellen kann. Statt besagter 24 Meter-Welle kam die Dünung mit zahmen drei Metern daher. Weit und breit keine Surfer in Sicht. Was uns nicht gestört hat, man muss nicht alles haben.
