Dass wir die niederländisch-belgische Grenze erreicht und im Hafen von Vlissingen festgemacht haben, ist eine wirkliche Leistung. Denn… um der Wahrheit gerecht zu werden: Captain Christoph und seine Crew haben ein kleines Handicap. Es ist nämlich so, dass wir beide blind wie Maulwürfe sind. Dennoch haben wir Vlissingen erst mit dem Finger auf der Karte und dann mit Maha Nanda getroffen. Ich höre schon die Jubelchöre.
Jene, die jetzt auf Ovationen verzichten weil sie meinen, jeder halbwegs durchschnittliche Segler werde wohl in den Hafen finden, sind offensichtlich keine Brillenträger, die ihre Brille im Hafenbecken versenkt haben, alle anderen verstehen bestimmt, womit wir zu kämpfen haben. Um die täglichen Widrigkeiten von Maulwurf-Seglern zu verdeutlichen, ein kleines Beispiel: das Programmieren des Funkgerätes.


Christoph hat eine Not-Lesebrille mit zu wenig Dioptrien, da er allerdings weit- und kurzsichtig ist, kann er mit dieser ein paar Dinge in der Ferne erkennen. Große Frachtschiffe und Berge zum Beispiel. Weiters besitzt er eine Not-Lesebrille mit etwas mehr Dioptrien, mit welcher er in der Ferne gar nichts mehr sieht, dann eine Sonnenbrille mit leichten Schliff, mit der er weder in die Ferne noch in der Nähe sieht und zu guter Letzt eine Sport-Sonnenbrille, die gut gegen Sonnenstrahlen schützt – mit ihr wird alles schwarz. Ich wiederum trage Kontaktlinsen, die leider, seit ich mein 50. Lebensjahr erreicht habe, meine Altersweitsichtigkeit verstärken, womit ich eine Lesebrille bräuchte, die ich nicht habe. Zum Glück besitze ich auch eine Brille gegen meine Kurzsichtigkeit und wenn ich die abnehme, kann ich aus fünf Zentimetern Entfernung glasklar jeden noch so kleinen Buchstaben lesen. Programmieren sieht also folgendermaßen aus: Ich lese ohne Brille die Beschreibung, Christoph drückt auf den Knöpfen herum, allerdings ist das Display für seine Sehkraft zu klein, sodass ich Ziffer für Ziffer meine Brille abnehme und, nachdem Christoph hoffnungsvoll die möglicherweise richtige Taste gedrückt hat, die Brille wieder aufsetze und kontrolliere, ob es tatsächlich die entsprechende Ziffer ist. Das ganze viermal, für Binnen- und Seefunk. Wir kommen uns ganz schön alt vor.

Unserem Handicap ist es auch zu verschulden, dass wir uns verfahren haben. Aber nur ganz wenig, eine Seemeile, und wir sind auch ganz schnell draufgekommen!!! Bei der Schleuse vom Haringvliet Richtung Oosterschelde sind wir frohgemut zur Einfahrt für die Berufsschifffahrt gesegelt. Das Schild „Sport“, das in die Richtung für die Sportschifffahrt wies, war aber auch wirklich winzig klein. Ich finde, auf Seniorensegler wird in den Niederlanden zu wenig Rücksicht genommen. Fühle mich etwas diskriminiert 😉



Der Unterschied zwischen Rheindelta- und Nordseesegeln könnte nicht größer sein, als hier an der Schleuse von Vlissingen. Eben noch segelten wir gemütlich durch die Insellandschaft der Schelde, bei Windstärke 3, Sonnenschein und niederländischen Frühlingstemperaturen. (Wir legten sogar kurzfristig unsere Wollmützen ab.) Nach einem Klappbrücken- und Schleusen-Marathon – wir passierten gestern sechs Brücken und drei Schleusen, wobei wir uns hinter einem Frachter anhängten und uns somit einiges an Wartezeit ersparten, denn für Beruffschiffe werden die Brücken und Schleusen definitiv rascher geöffnet – war auf einen Schlag alles anders. In der letzten Schleuse sank der Wasserstand um zweieinhalb Meter, das Tor öffnete sich uns und die Nordsee empfing uns mit Windstärke 6. Natürlich direkt auf die Nase.

Dass wir vom gemütlichen Feiertagsschippern auf Hochseegewässern gewechselt haben, merkt man schon an den Hafenkonstruktionen. Die meterhohen Bollwerke, die vor immerhin dreieinhalb Meter Tidenhub schützen, sind das Erste, das man bei der Einfahrt vor Vlissingen ausmachen kann. Wir wissen, der Hafen kann sowohl bei Hoch- als auch Niedrigwasser befahren werden. Wir kommen abends zwei Stunden nach Niiedrigwasser in den Vorhafen, der Strom setzt jetzt in das Hafenbecken, die Klappbrücke ist jedoch geschlossen, davor rauschen die Brecher gegen die zehn Meter hohen Holzpfähle und zu unserem Schrecken gibt es hier keine Möglichkeit, festzumachen, um auf die Brückenöffnung zu warten. Ist offensichtlich nicht notwendig, denn der Hafenmeister hat uns wohl schon längst ausgemacht und gerade in unseren Gedanken, was zu tun sei, wechselt die Ampel auf Grün die Brücke öffnet sich für uns und wir fahren mit dem Strom, der wie ein Fluss durch die enge Einfahrt rauscht, in den Hafen. Vom Brückengeländer oben winkt uns der Hafenmeister zu, begrüßt uns mit einem „Good evening“ und ruft uns die Nummer unseres Liegeplatzes zu.


Bis Mitternacht setzt der Strom Richtung Hafenbecken, Maha Nandas Rumpf schwimmt bei unserem Zubettgehen einen Meter höher als bei der Ankunft. Als wir in der Früh aufwachen, erscheinen die Hafenwände wieder höher, wir haben Niiedrigwasser.

Wenn wir jetzt über die Hafeneinfahrt blicken, sehen wir einige wenige Segelschiffe, die bei Windstärke 5 mit dem Strom Richtung Antwerpen rauschen, und etliche Frachtschiffe, die gegen den Strom Richtung Belgien stampfen. Nicht nur angesichts diese Bildes ist uns klar: Gegen Strom und Wind hat Maha Nanda mit ihrem guten alten Bukh-Motor wenig Chancen. Würden wir jetzt versuchen, Richtung Südwesten zu motoren, würden wir wohl den ganzen Tag mit Vollgas vor der Hafeneinfahrt stehen. Am Abend können wir wieder zurück in den Vlissinger Hafen fahren. Schön ist so ein Segeltag…

Was der Bukh so draufhat, haben wir gestern im Kanal zwischen Middelburg und Vlissingen getestet. Voraus das Frachtschiff, in dessen Heckwelle wir uns gehängt hatten, sahen wir die Ampel vor der nächsten Brücke auf Rot-Grün springen. Jetzt mussten wir Vollgas geben, sonst würde der Brückenwärter, wenn der Frachter durch wäre, vor unserer Nase die Brücke schließen. Mit vollem Karacho kamen wir dem Heck des vor der Brücke wartenden Dicken in rasender Geschwindigkeit näher. Am Weg entlang des Kanals überholten uns derweilen die Radfahrer, Familien mit Kind und Kegel, die eine gemütliche Abendspazierfahrt machten und uns beim Vorbeifahren fröhlich zuwinkten. Aber die Niederländer sind eben unkompliziert. Als der Frachter die Brücke passiert hatte, sprang die Ampel – wie erwartet genau vor unserm Bug – auf Rot, in diesem Moment hatte uns der Brückenwärter wohl erst hinter dem Rumpf des Dicken entdeckt und schaltete erneut auf Grün um. Wir rasten mit fünf Knoten (neun km/h) an den Brückenstehern vorbei.
Da bin ich aber froh, dass ich mit einer Brille auskomme – und das sehr gut. Ich – kurzsichtig – habe eine Gleitsichtbrille, die mir fuer alle Gelegenheiten reicht. Zum Lesen nehme ich sie allerdings manchmal ab: dann erscheinen die Buchstaben naemlich (etwas) groesser. Dazu habe ich dann noch eine Computerbrille, auch Gleitsicht, bei der in den Glaesern der Bereich fuer mittlere Entfernung groesser ist. Das macht das Arbeiten am Computer bequemer, weil ich den Kopf nicht in den Nacken legen muss.
Was das Segeln angeht: da gab es nur Probleme mit meiner Farbtuechtigkeit. Wegen einer Schweche im Rot/Gruen-Bereich haette ich fast meine Segelscheine nicht bekommen. Es hat aber zu meinem Glueck so ganz knapp noch gereicht.
Weiterhin gute Fahrt,
Pit
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