Menschen am Meer – This lady is the captain

Vor Greta liegen 5000 Meilen Wasserweg, fünf Wochen ohne ein Fleckchen Land in Sicht, 35 Tage Atlantikwelle, 840 Stunden an Bord der Mayflower II – einer Hallberg-Rassy 46. Als Greta in Kapstadt startet, um gemeinsam mit ihrer Freundin Richtung Tobago zu segeln, steht ihr Mann Owe am Steg und verabschiedet sich. „Zum Glück hat sie in diesem Moment nicht gesehen, was ich gesehen habe“, grinst er. Denn ihre Freundin weint herzzerreißend. „She cried like a baby that lost her mother“, erzählt Owe. „O mein Gott, was soll das werden“, dachte er, als er den beiden Frauen zuwinkte, während die Yacht aus dem Hafen auslief und immer kleiner wurde – am Weg Richtung Amerika.

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Greta und Owe, ein schwedisches Langfahrtsegler-Ehepaar

In Wahrheit vertraute Owe seiner Greta – und das mit gutem Grund. Denn Greta ist sein Captain. Seit über 27 Jahren – oder eigentlich noch länger… Die beiden Schweden segeln seit ihrer Jugend, ihr erstes eigenes Boot kauften sie in den 80er-Jahren, 1992 brachen sie zur großen Fahrt auf. Es war das 500-Jahres-Jubiläum von Kolumbus’ Amerika-Entdeckung und diesem Ereignis zu Ehren fand eine Regatta auf den Spuren des berühmten Seefahrers statt.

Über 100 Teilnehmer, darunter Greta und Owe, segelten auf jener Route, die Kolumbus 1492 von Huelva über die Kanaren bis Santo Domingo führte, und von hier ging es über die Azoren wieder zurück nach Europa. Für die beiden abenteuerlustigen Schweden war die Reise damit aber nicht zu Ende. Die beiden besegelten in den nächsten 27 Jahren das Mittelmeer, den Atlantik, den Pazifik und den Indischen Ozean, segelten zweimal um die Welt, elfmal über den Atlantik und legten auf eigenem Kiel 150.000 Meilen zurück.

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Greta und Owe bei uns an Bord von Maha Nanda zu Besuch

Gibt es einen Platz auf dieser Erde, diesen einen besonderen Ort, der am schönsten ist? Tonga und Fidschi sind die ersten Namen, die fallen. „Brasilien“, meint Greta. „Ihr müsst die brasilianische Küste entlang fahren, die ist unvergleichlich.“ Und dann? Dann am besten nach Kapstadt, denn gegen Strömung und Welle Richtung Karibik zu segeln macht keinen Spaß. Klingt doch ganz einfach: Statt auf direktem Weg Richtung Norden Kurs Tobago zu fahren, machten die beiden einen kleinen Umweg über Südafrika. „Denn von hier aus ist es kein Problem, Kurs Nordwest in die Karibik zu fahren.“ Tja, alles eine Frage des Standpunktes.

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Dreamteam: Captain Greta und Crew Owe

„Tristan da Cunha“, rufen die beiden wie aus einem Munde. Zum Thema schönste Plätze der Welt. Noch nie gehört? Wir jedenfalls nicht. Es handelt sich um eine kleine Insel auf 37° Süd, eine Insel der St. Helena-Gruppe, mitten im Atlantik, bewohnt von 280 Menschen, möglicherweise die einsamste Insel der Welt. Tristan da Cunha ist geologisch betrachtet die Spitze eines unterseeischen Vulkans. Als dieser 1961 ausbrach, musste die gesamte Insel evakuiert werden, die meisten Bewohner kamen nach Großbritannien – wo man davon ausging, dass die Evakuierung dauerhaft sein würde. Allerdings hatten die Briten nicht mit der Heimatliebe der 280 Tristaner gerechnet. Die stimmten über ihre Rückkehr ab und entschieden sich eindeutig – mit fünf Gegenstimmen – zur Rückkehr in die Heimat. 

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Die Hallberg-Rassy Mayflower II ist ihr drittes Boot

Das mit dem Besuch der Insel müssen wir uns noch überlegen… Vom Cabo Frio in Brasilien sind’s 3200, vom Kap der Guten Hoffnung sind’s 2800 Meilen zu segeln. Und als wären die Dimensionen allein nicht schon Zweifel wert, ergänzt Greta: „Die Menschen dort leben vom Langusten- und Fischfang, allerdings ist es ihnen aufgrund der Wetterlage nur an durchschnittlich 60 Tage im Jahr möglich, auszulaufen.“ Scheint eine stürmische Ecke zu sein…

Egal wie bescheiden Greta und Owe ihre Anekdoten erzählen, egal wie oft sie betonen, dass sie oft Glück gehabt und 27 Jahre lang keine ernsthaft kritischen Situationen erlebt hätten – dass Kaptiänsfrau und Crew eine überdurchschnittliche Portion Mut und Abenteuerlust besitzen, ist nicht zu übersehen. Wenn sie von Downwind-Segeln bei zwölf Meter Welle und Windstärke 12 erzählen und davon, wie sie in Brasilien beinahe ihr Boot verloren hätten – der Wind hatte um 180 Grad gedreht, der Anker slippte, sie mussten vom Ufer aus zusehen, wie die Yacht auf Legerwall geriet und konnten im letzten Moment einen Freiwilligen finden, der sie in einem schweren Holz-Ruderboot gegen die Dünung zu ihrer Yacht brachte-, dann klingen ihre Erlebnisse liebenswert-bescheiden. Für uns sind sie unvorstellbar. Abenteuer pur.

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Dass die beiden ein unübertrefflich eingespieltes Team sind, ist unübersehbar. „She is the Captain“, grinst Owe und die Kapitänin ergänzt. „Mittlerweile hat Owe auch alle Segelpatente.“ Überhaupt scheint sie in dieser Ehe die Frontfrau zu sein (auch wenn sie’s nicht zugeben will). „Wir haben beide den Pilotenschein, aber sie hat ihn zuerst gemacht“, erzählt Owe. Und dann. „Ich hatte Angst vorm Fliegen, aber ich fand einen Ausrede: It’s too expensive.“ Nach einiger Zeit schien er seine Angst überwunden zu haben, dann machte er doch noch den Flugschein. „But I would not fly alone. Only with my Greta by my side“, scherzt er. Und sie schüttelt milde lächelnd den Kopf und tätschelt sein Knie…

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Und wie verlief die Reise der beiden Frauen nach Tobago? Owe stieg in sein Flugzeug, um für eine medizinische Untersuchung in die Heimat zu fliegen. Als er über den Atlantik unter sich schaute, kam ihm die Idee, ob es wohl möglich wäre, die Mayflower anzufunken. „Ich stand auf und ging zur Pilotenkanzel, aber die war verschlossen“, erzählt er. Eine Stewardess fragte ihn, warum er an der Tür rütteln würde und er erklärte seinen Wunsch. Wenig später bat ihn der Flugkapitän in die Kanzel. „Über welche Frequenz können wir sie erreichen?“, fragte der. 121 – erfuhr Owe von einem Freund, den er auf die Schnelle kontaktierte. Zwar konnte kein Funkkontakt hergestellt werden – Greta hatte den Funkspruch nicht gehört -, aber heute noch grinst Owe bei dem Gedanken: „Mayflower II, MayflowerII, this is South African Airlines. Can you read me?“ 

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Weiß was sie tut: Greta am Steuer ihrer MayflowerII

Owe tut gut daran, seiner Frau zu vertrauen. Sie und ihre weinende Freundin, deren Laune sich relativ rasch gebessert hatte und die mittlerweile selbst souveräne Skipperin ist,  erreichten nach fünf Wochen auf See wohlbehalten Tobago. Mit einem Jet Ski fuhr er den beiden in der Ankerbucht entgegen und ging an Bord. „Ich griff gleich mal zum Steuerrad, aber sie wies mir sofort meinen Platz zu. Am Vorschiff, beim Ankerkasten“, lacht er. The Lady is the Captain.

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