Von Riesenwellen, Folterknechtinnen und Geistertänzen

Wir drei sind die letzten unserer Art. Christoph, Kiana und ich. Drei Segler, die hier in Essaouria festhängen. Drei, die es noch vor Weihnachten auf die Kanaren schaffen wollen, dorthin, wo alle anderen schon sind und wohin es nur mehr 240 Meilen sind, also zweieinhalb zugegebenermaßen harte Tage, denn Wintersegeln ist eine Herausforderung. Besonders hart ist, dass die Wetterfenster für die Überfahrt zu den Kanaren keine drei Tage mehr anhalten. Zumindest nicht die letzten zwei Wochen und auch für die nächste Woche sieht es mehr als fraglich aus, was uns drei ziemlich bangen lässt. Werden wir mit unseren Freunden Weihnachten feiern oder werden wir hier in Marokko bleiben?

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Blick Richtung Atlantik: nur zwei Meter Welle… aber leider Südwestwind.
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Der alte Festungswall von Essaouria gleich neben dem Fischerhafen.

Essaouria ist… spannend.  Grundsätzlich würde ich es ja als schön bezeichnen, hätte es wahrscheinlich uneingeschränkt als schön bezeichnet wenn… ja wenn wir wie geplant vor zwei Monaten hier gewesen wären. Aber die Winter an der nordafrikanischen Küste sind weit vom erträumten Blauwassersegeln entfernt. Tausende Meilen weit.

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Die Hafeneinfahrt an einem ruhigen Tag….
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Der Blick von unserer Yacht aus ist einzigartig.

Derzeit haben wir hier an der Hafeneinfahrt fast sechs Meter Welle und Westwind mit 40 Knoten, der Hafen ist gesperrt und im Hafenbecken ist so gut wie kein Quadratmeter freie Wasserfläche mehr. Seit gestern liegen hier alle großen und kleinen Fischerboote, die bis vor kurzem noch im Umkreis von 100 Meilen unterwegs waren, denn die Wetterbedingungen sind selbst für hartgesottene marokkanische Fischer eine Nummer zu groß. Der Schwell ist an dieser Küste die wirklich große Herausforderung. Aus Nordwesten rauscht über Tausend Meilen die Atlantikdünung auf uns zu, die jetzt im Winter aus riesigen Tiefdruckwirbeln entsteht, die von Grönland bis auf die Höhe von der Straße von Gibraltar reichen, Wirbeln, die sich alle paar Tage im Westen neu formieren und Richtung Europa wandern. Unaufhörlich. Ebenso unaufhörlich ist die Dünung, die dort ihren Weg beginnt, wo der Atlantik fünftausend Meter tief ist und die sich schließlich an der marokkanischen Küste, die auf einer Breite von 20 Meilen nicht mehr als als 50 Meter Wassertiefe aufweist, bricht.

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Sechs Meter Welle außerhalb. Alle Fischerboote bleiben heute im Hafen.

Wie gesagt, es ist spannend. Aber wie spannend auch immer sechs Meter Welle und Wind auf die Nase anzusehen sein mögen, mit unserer Maha Nanda da mittendrin zu sein, das wollen wir nicht.  No way. Kiana sieht hier ebenso ihre Abenteuer-Wunsch-Grenze erreicht und das, obwohl sie nicht gerade ein ängstliches Mäuschen ist. Mit ihrem wirklich wild aussehenden Katamaran Mara Noka hat die 23-Jährige schon einiges überstanden, ist seit eineinhalb Jahren alleine unterwegs und von der Karibik über die Azoren und über Portugal bis hierher gesegelt – Mastbruch am Atlantik inklusive. „Ich würde mich gerne auf die Kanaren beamen aber andererseits: Wozu habe ich ein Segelboot?“, lacht sie und bleibt optimistisch. Auf dass das Wunder geschehe, die Wetterprognose sich ausnahmsweise zu unseren Gunsten ändert und uns ein sanfter Nordostwind nach Lanzarote schiebt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Das Rettungsschiff liegt direkt neben uns, le Capitain bekommt von uns Tee serviert.

Ach ja, ein weiteres für uns unerquickliches aber für euch sicher unterhaltsames Detail habe ich noch zu bieten: Da unsere Maha Nanda, wie schon im vergangenen Beitrag erwähnt, an mehreren großen Schiffen längsseits in einem Fischerhafen festgemacht ist, schaut’s mit der Versorgung ziemlich dürftig aus. Will sagen: Wir haben keine. Wasser? Im Kanister vom Brunnen. Diesel? Im Kanister von der Tankstelle. Petroleum für den Ofen und Spiritus für den Herd? Entweder haben wir das richtige Geschäft noch nicht gefunden oder alles ist ausverkauft, wie dem auch sei: gibt es nicht. Dass unser Windgenerator mal wieder nutzlos rumsteht und trotz mehr als genug Wind keinen Strom liefert, steigert unseren Wohnkomfort auch nicht gerade. Aber das Beste kommt zum Schluss: Es gibt hier im Hafengelände keine Sanitäreinrichtung.

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Ganz links der Schubverband, daneben das Baggerschiff, dann das Rettungsboot, dann eine belgische Yacht, dann Maha Nanda dann der Katamaran. Wir kuscheln Päckchen.
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Thé à la menthe am Place Moulay Hassan

Bevor ihr euch jetzt alle vor Entsetzen die Nase zuhaltet und euch den Mief, den Maha Nanda und ihre Besatzung verströmen, vorzustellen versucht, holt wieder Luft! Es gibt eine Lösung für unser Körperpflege-Verlangen und die ist sehr speziell und sehr marokkanisch. Ja, wir gehen ins Hammam. Wir haben sogar eines besucht, in dessen Dampfbad sich zwei Liegen – extra für Paare – befanden. Was hier außer dampfen noch geschieht? Zuerst wurden wir mit klarem, heißem Wasser abgespült, dann mit einem Schwamm aus Ziegenhaar und Stoff abgeschrubbt. Christoph lachte noch, als er meine Leidensgeräusche gehörte, aber als er an der Reihe war, verging ihm das Lachen. Der Schwamm schrubbt gefühlte zehn Millimeter deiner Hautoberfläche ab – und zwar am ganzen Körper. Und unser Folterknecht – übrigens eine ziemlich massive, ziemlich unsanfte und ziemlich laut lachende Knechtin – hatte sichtlich Freude an unseren Qualen. Irgendwann endet alles Leid und zur Belohnung für unsere Tapferkeit bekamen wir schließlich beide eine himmlische Schaum-Massage, gefolgt von einer duftenden Maske am ganzen Körper und zum Schluss wurden wir von Kopf bis Fuß komplett gereinigt. Das Ergebnis: babyweiche rosa Haut, die sich so anfühlt wie… zu Babyzeiten vor 50 Jahren.

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Im Souq von Essaouira.
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Kräuterduft liegt in der Luft.

Wenn wir uns nicht foltern lassen, vergnügen wir uns in der Medina von Essaouria, das in den 70er-Jahren eines der großen Hippie-Ziele war. Jimy Hendrix & Co. wurden von der Musik der Gnawa inspiriert, spirituelle Rhythmen einer ethnischen Minderheit aus Westafrika, die eingesetzt wurden, um mit Geistern in Kontakt zu treten. Gerade gestern schickte mir mein Papa einen Artikel aus der österreichischen Presse: Gnawa wurde als UNESCO Weltkulturerbe anerkannt und ganz Essaouria feiert das. Zwar habe wir, die jeden Tag durch Essaourias Zentrum streifen, nichts von diesen ausgelassenen Feiern bemerkt, aber wenn die „Presse“ das schreibt, muss es wohl stimmen.

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Datteln, Nüsse und Feigen.

Von der Hippie-Ära ist in dieser zauberhaften Stadt mit portugiesischem Flair heute wenig übrig. Ein paar Hängengebliebene und hoffnungslos in der Vergangenheit Gefangene mit Dreadlocks und wallenden Sarouel-Hosen sind hie und da zu sehen, verkaufen am Place Moulay Hassan ihre selbstgebastelten Armbänder, ansonsten geht’s hier ziemlich touristisch-kommerziell zu. Abgesehen von Marrakesh – eh klar – ist Essaouria tatsächlich der erste Ort auf unserer nunmehr einen Monat dauernden Marokko-Reise, der von Touristen bevölkert ist. Eine Tatsache, die uns anfangs richtig irritiert hat, denn wir haben eigentlich das marokkanische Marokko liebgewonnen.

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Der Granatapfel-Dieb wurde erwischt.

So richtig überfüllt sind die Straßen Essaourias allerdings jedes Jahr im Juni, denn dann findet hier das Gnawa- Musikfestival statt. Ich muss zugeben: in diesem Fall würden mich die Besuchermassen bestimmt nicht stören, im Juni wäre ich wirklich gerne hier gewesen. Welch inspirierender Ort für coole Musik!

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