Berufsziel Schleusenknecht. Klingt komisch, ist es auch. Allerdings nur für uns Österreicher, denn bekannterweise haben wir weder ein Meer vorzuweisen noch fahren wir mit unseren Schiffen kreuz und quer durch die Lande. Für Niederländer dagegen ist das alles Alltag: die Kanäle, die sich durch die Landschaft ziehen, die Boote sowieso und auch der Schleusenknecht.


Bei einer Radrunde durch die Stadt machten wir bei der Sluisenknechtwoning an der Südeinfahrt von Lemmer Halt und schauen neugierig beim Fenster rein. Prompt werden wir von Schleusenwärter Joop auf einen Koffie eingeladen. Das Häuschen ist gerade mal vier mal vier Meter groß, früher wohnte hier der Schleusenwärter, heute ist es Joops Schaltzentrale mit Schreibtisch plus Computer und Kaffeemaschine, Funkgerät und Schaltpult zum Öffnen und Schließen der Tore. Wir dürfen neben Joop Platz nehmen und schauen ihm ein bisschen über die Schulter. „Heute ist nicht viel los; zu kalt, zu viel Wind am IJsselmeer“, meint er und blättert seine Aufzeichnungen durch: 35 passierten heute die Tore und es ist schon später Nachmittag, um 19 Uhr schließen alle Schleusen und Brücken von Lemmer. „Im Sommer haben wir um die 200 Schiffe pro Tag.“ Joop blickt Richtung Hafeneinfahrt, nimmt sein Fernglas. „Jetzt kommt einer.“ Der Schleusenwärter wartet ein Weilchen, ob das Segelboot weiter Kurs auf die Schleuse nimmt, drückt ein Knöpfchen am Schaltpult, öffnet dann die Tür und tritt vor das Haus ans Schleusentor, wo eine Angel lehnt. An der Angelschnur baumelt ein Holzschuh, ein traditioneller Klompen, in den Farben der friesischen Flagge lackiert. Blitzblau mit weißen Streifen und sieben Seerosen. Mittlerweile hat sich das Schleusentor geöffnet und während der Skipper dieses passiert, lässt der Wärter den Schuh mit der Angel runter. Fünf Euro landen im Klompen, der wieder nach oben schwebt. Der Obolus ist bezahlt.
Wieder im Huis, schließt Joop das Tor, wartet bis der Wasserstand gesenkt wurde. „Das ist hier nicht viel, ein Meter vielleicht.“ Dann öffnet und schließt er das zweite Tor. Sehr entspannt wirkt die Arbeit eines Schleusenwärters von unserer Perspektive aus. „In der Hochsaison wollt ihr nicht hier sitzen, glaubt mir“, lacht Joop, bestätigt jedoch: Früher war der Job harte Arbeit, zwei Leute waren notwendig, um die Tore per Handkurbel zu betätigen. „Man sagt, die Schleusenknechte aus früherer Zeit haben viel gesungen, wahrscheinlich ging die Arbeit damit leichter von der Hand.“ Nur bei Sturm muss Joop richtig anpacken, denn da wird das ganz große Tor vor der Schleuse geschlossen. Per Hand.
Joop wurde vor 61 Jahren in Lemmer geboren, hat jedoch nicht sein gesamtes Leben in Friesland verbracht. In jungen Jahren diente er bei der Marine, Special Force stationiert in Aruba in der Karibik. „Jetzt ist mein Sohn bei der Marine – in Curaçao. Im Sommer werde ich ihn besuchen“, erzählt er und zeigt uns seine Krawattennadel und die messingglänzende Gürtelschnalle mit dem Symbol der niederländischen Krone.

Das alte Fischerdorf Lemmer wurde am Ufer der Zuiderzee gebaut, wo zwei Flüsse aufeinander trafen, seine Einwohner lebten von Fischerei und Schiffbau. Die Zuiderzee-Fischerei erreichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt und in weiterer Folge entstand in der Stadt fischverarbeitende Industrie. Zu dieser Zeit waren mehr als hundert Fischerschiffe, die berühmten Lemster-Aak, auf der Zuiderzee im Einsatz. Erst mit dem Bau des Abschlussdeichs im 20. Jahrhunderts wandelte sich das salzige Meer zum Süßwassersee – dem heutigen IJsselmeer. Im gleichen Maße, in dem die Fischerei in Lemmer an Bedeutung verlor, entwickelte sich der Tourismus und heute ist die Stadt eines der größten Wassersportzentren der Niederlanden.

Warnung in den Wind geschlagen
Joop tritt vor die Tür der Sluisenknechtwoning und schaut Richtung IJsselmeer. Eine Stunde hat er noch, bevor er für diesen Tag die Schleuse schließt. „Wird wohl keiner mehr rausfahren heute“, nickt er. Seit drei Tagen bläst draußen der Starkwind und verschreckt so manchen Schönwettersegler. „Am Samstag kam ein Boot unter deutscher Flagge hier durch. Ich habe sie noch gewarnt, es blies ziemlich heftig weiter draußen. Aber der Skipper hatte abwinkt, nö, nö, kein Problem… Zwei Stunden später kamen sie zurück, ganz grün im Gesicht. Haben sich dann die nächsten zwei Tage nicht mehr aus dem Hafen rausbewegt.“ Joop grinst schelmisch. Das IJsselmeer sollte man nicht unterschätzen, das wissen wohl wenige besser als ein Lemster Schleusenwärter mit 61 Jahren Erfahrung.
