Ich fang mal mit einer leichten Übung an: Was fällt dir ein wenn du das hörst? „If you’re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair…“ Oder das: „Well if you ever plan to motor west, just take my way it’s the highway that’s the best,
get your kicks…“ Jetzt steigern wir die Schwierigkeitsstufe, du hörst : „I remember you well in the Chelsea Hotel…“ Oder „Choli ke peeche kya hai…“ Okay das war jetzt highest level. Aber jeder hat doch diese Songs, die ihn sofort weit weg katapultieren. Es ist wie beim Essen oder bei Gerüchen: Sie beamen dich weit weg, in eine andere Welt oder eine andere Zeit.

Ich bin von Musikern umzingelt. In meiner Familie gibt’s einige Talente und Captain Christoph, der Mann mit den vielen Talenten hat die Musikalität genetisch im Blut, sein Vater war Musiker, Manager einer Band und Alleinunterhalter. An unsere Söhne ist das Talent dann auch noch weitergegeben worden, also führt in unserer Familie kein Weg an Musik vorbei. Die Kids sind mit ihr sozialisiert worden und als die Phase von „Gans Agathe“ und den Schlümpfen vorbei war, ging’s gleich ans Eingemachte. Heute wundern sich unsere Söhne, dass sie angesichts von Whole Lotta Love und One Bourbon, one Scotch, one Beer keinen bleibenden Schaden davongetragen haben. Aber, hey, sie konnten ja damals noch nicht Englisch.
Ich selbst habe mit sechs Jahren begonnen, Klavierspielen zu lernen. Sagen wir so: Ich bin nicht gänzlich unmusikalisch, aber von virtuos war und bin ich meilenweit entfernt. Ich glaube, ich war zwölf Jahre alt, als ich beschloss, die Musikschule bleiben zu lassen und für ein halbes Jahr hat sich mein Onkel meiner erbarmt und mich unterrichtet. Lieber Onkel Herald, ich weiß, dass du mein mangelndes Feeling fürs Klavier rasch erkannt hast aber danke an dieser Stelle, dass du so geduldig warst 🙂

Ich bin dann zur Passivität übergegangen, heißt, ich habe viel Musik gehört und wenig selbst produziert, warum sollte ich das auch nicht jenen überlassen, die es besser können. Christoph zu Beispiel. Jungs die richtig gut Gitarre spielen, haben doch schon immer die Mädels beeindruckt, oder? Ich jedenfalls war 17 Jahre alt und hin und weg, als ich zum ersten Mal Christophs Interpretation von John Barleycorn must die (Traffic) gehört habe. Ist übrigens ziemlich genau auf den Tag 32 Jahre her und wenn ich den Song höre, werde ich ins Jahr 1986 zurückgebeamt, in den Proberaum meines Schwiegervaters, den Bandleader der Red Devils. Ein Raum, vollgestopft mit Instrumenten, CDs, Lautsprechern, Kabel, Tonanlage und anderem Equipment. Und einem alten Sofa mit einem wackeligen Tisch, der immer mit Noten, Teehäferl, überquellenden Aschenbechern und anderem Zeugs vollgeräumt war. (Worüber sich Christophs Vater, ein ausgeprägter Ordnungsfanatiker regelmäßig maßlos aufregte).

Hat nicht jeder seine Reise-Playlist? Also jene Songs, die an einen besonderen Ort in einer anderen Zeit erinnern? Als Teenager der 80er-Jahre hab ich da natürlich ein paar Songs aus der Zeit parat. Beispiele gefällig?
Sweet Dreams von den Eurithmycs versetzt mich in eine Disco in Novigrad, 1983. Ich 14, meine Freundin 16, auf der Tanzfläche, die Jungs im Blick.
Dont´You (Simple Minds), Ku 1985, damals die größte Disco der Welt. Mein Bruder der Partytiger hatte nächtelang durchgetanzt. Ausgerechnet im Ku hatte er beschlossen, der Abend sei langweilig und neben Simple Minds, volle Dröhnung, ein Nickerchen gemacht.
Live is Life (Opus), Schulschikurs 1985, Spital an der Drau, Zimmerparty (natürlich verboten) bei den Burschen.
Wenn ich die Proclaimers höre, bin ich in Gedanken auf unserer Hochzeitsreise in Schottland, bei La Bomba von Azul Azul, sehe ich plötzlich am Pool tanzende Venezolanerinnen vor mir und wenn die Band New York New York spielt, können wir nicht anders, wir müssen auf die Tanzfläche und erinnern uns gemeinsam an diese großartige Städtereise.

Heute hab ich beim Heimfahren im Auto Jamming von Bob Marley gehört und darüber nachgedacht, welche Songs wir von unserem Segel-Jahr mitnehmen werden. Welche Musik wird uns in den vielen Häfen und Buchten, die wir sehen werden, begleiten? Da ich noch nie im Leben in der Karibik war, verbinde ich mit Bob-Marley-Songs ein Seminar am Kulturanthropologie-Institut. Ich weiß nicht mehr genau das Thema, es ging jedenfalls um Musik und meine Kollegin und ich (beide in Nebenfach Indologinnen), wir beschlossen, unsere Seminararbeit über die Entstehung des Jazz und seine gesellschaftliche Bedeutung zu schreiben. Es war das Leben vor YouTube und Spotify wohlgemerkt. Also kauften wir uns zwei Schallplatten (eine davon hab ich gerade gefunden, The Rebirth of Cool) und durchstöberten die Nationalbibliothek nach geeigneten Werken. Wir versuchten mühsam, die Lyrics zu übersetzen und zu interpretieren. Es war eine Knochenarbeit, hundertmal haben wir uns die Strophen angehört und nur die Hälfte verstanden. Dann saßen wir irgendwann dem milde lächelnden damaligen Uni-Assistenten Werner Zips (heute ist er Professor am Kulturanthropologieinstitut) gegenüber, ein erklärter Karibik- und Bob-Marley-Experte, der uns irgendwann in unseren holprigen Ausführungen unterbrach und uns fragte, ob wir vielleicht in Wahrheit Sitar-Fans wären.
Ach ja: choli ke peeche kya hai – wenn Christoph und ich das hören, sitzen wir plötzlich in einem klapprigen Bus ohne Klimaanlage, ohne Fensterscheiben und ohne Stoßdämpfer, der Straßenstaub weht uns ins Gesicht, die kaputten Federn des Sitzes bohren sich in unsere Hintern, neben vor hinter und unter uns sitzen gefühlt Tausend andere Menschen, die während der Fahrt fünfgängige Menüs essen, ihre Babys wickeln und ihre Hühner füttern, es riecht nach Staub, Ringelblumen, Gewürzen und Räucherstäbchen und aus den Lautsprechern dröhnt Hindimusik in vollster Lautstärke. DER Bollywood-Hit des Jahres 1993.
Mit Sitar-Musik hab ich mich nie so recht angefreundet, aber was wirklich cool ist: Tabla. Und schon bin ich in Varanasi, in einem winzigen Laden in einer der engen Gassen der Altstadt, sitze am Boden und beobachte und höre staunend..
Was sind eure ultimativen Reisesongs?

Vielen Dank fürs Folgen! Liebe Grüsse, Roland
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