Die Werft im Weinviertel

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Tischlermeister Heinfried Gessinger und seine Mitarbeiter, San Felix, Puerto Ordaz

Du denkst vielleicht, weil das Weinviertel doch an kein Meer grenzt, kann hier keine Werft stationiert sein? Falsch gedacht. Okay, sie ist vielleicht nicht so bekannt wie die Lloyd in Bremerhaven und auch nicht ganz so groß wie die Meyer in Papenburg, es werden im Weinviertel ja auch keine Kreuzfahrtschiffe gebaut, eigentlich gar keine Schiffe. Aber die Schricker Werft existiert tatsächlich.

Wo ist Schrick und warum gibt’s dort eine Werft? Also: Schrick liegt mitten im Weinviertel in der Nähe von Mistelbach, hat nur ein paar Hundert Einwohner und obendrein eine Tischlerei. Weil mein Papa mit dem Inhaber derselben befreundet ist, stellt ihm der seine Werkstatt für privates Werken zur Verfügung. Mein Papa ist nämlich Tischlermeister in Pension (pssst, das darf man in seiner Gegenwart niemals sagen, denn er hasst jede Form des Ruhestandes) und die nutzt er hauptsächlich zum Arbeiten. Zum Glück gibt’s zu Hause und für die Familie immer was zu tun, denn ohne Planen, Zeichnen und Tischlern geht da nix, auch wenn er gerade 80 geworden ist (das Wort „alt“ sollte übrigens auch tunlichst in seiner Gegenwart vermieden werden, ebenso die Worte „betagt“ und „bejahrt“).

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Der 80-Jährige, der in das Boot stieg und verschwand…

Und nun hat eben die Tochter, also ich, mit 48 Jahren die ein bisschen ungewöhnliche Idee gehabt, gemeinsam mit dem dazupassenden, weil ebensowenig faden, Ehemann eine alte Jacht zu kaufen, die zwar fast rostfrei und aus Stahl, dennoch nicht hunderprozentig Atlantiküberquerungs-tauglich ist. Will heißen: Wir haben viel Arbeit gekauft und einen Teil dieser Arbeit hat mein Papa geleistet.

Fünf Jahre im Regenwald

Der ist nämlich nicht minder unkonventionell und hält sich ungern an Regeln. Jenes österreichische Gesetz, das besagt, mit 50 beginnst du die Jahre bis zu deiner Pension zu zählen und strebst so bald als möglich die Frühpension an, hat er einfach sabotiert und ist mit 60 Jahren nach Venezuela ausgewandert. Erst kam er durch Zufall bei einem Deutschen unter, der in Puerto Ordaz, in einer Stadt am Orinoco, im Landesinneren, eine Touristen-Lodge betreibt, dann eröffnete er in dieser Stadt einen Betrieb. Erraten! Eine Tischlerei. Fünf Jahre lebte er in Südamerika, während meine Mama zwischen den Kontinenten pendelte, ein paar Monate in Puerto Ordaz, dann wieder nahe ihren Kindern und damals kleinen Enkelkindern in Rabensburg im Weinviertel lebte.

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In der Tischlerei in San Felix, Puerto Ordaz

Tischlermeister Gessinger lernte in diesen fünf Jahren nicht nur venezolanisches Spanisch (ungefähr so eng mit Hochspanisch verwandt wie Schwyzerdütsch mit Plattdeutsch) sondern auch essentielle technische Dinge wie Arbeiten auf Ölfässern oder sauberes Lackieren in der Regenzeit. Und er lernte wunderbare Menschen kennen, Freunde fürs Leben. Als Hugo Chavez in Venezuela die Macht übernahm und die politische Situation erst unerträglich, dann gefährlich wurde, kehrten meine Eltern Südamerika wieder den Rücken. Das Fernweh ist ihnen aber geblieben – und das haben sie glaub‘ ich der ganzen Familie mitgegeben.

Buchtipp

Übrigens, wer mehr von den fünf Jahren in Südamerika lesen möchte, dem sei das Buch meines Vaters empfohlen. „Wo ist hier der Regenwald? Ein sechzigjähriger Aussteiger gründet eine Tischlerei in Venezuela“, ISBN: 78-3-200-04882-9, http://www.gessinger.at

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In der Werft

Wie gesagt, jetzt ist der Papa wieder im Lande und er hat im Jänner und Februar viel Zeit in Schrick verbracht, in der Tischlerei seines Freundes, wo er ein paar Holzarbeiten für unsere Maha Nanda erledigt hat. Aber was für Holzarbeiten! Aus der Idee von Captain Christoph, der seine künstlerische Ader (dazu später mehr) bei der Planung des Cockpits voll ausleben durfte, entstand die schönste Plicht von Lemmer. Es war ein fantastisches Gefühl: Während Christoph und ich einen Monat im südindischen Tamil Nadu lebten (auch dazu später mehr) bekamen wir immer wieder nette kleine Nachrichten inklusive Fotos aus der „Werft“. Wir konnten aus der Ferne den Fortschritt unseres Cockpits miterleben, und als wir Mitte März spätabends vom Flughafen Schwechat heimkamen, lag im Wohnzimmer unsere Sitzbank. Fertig zum Einpacken und nach Holland Transportieren.

Was wir dann bekanntermaßen auch gemacht haben. Und so sieht der Prototyp aus der Weinviertler Werft aus:

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