Der Spirit kommt zurück – der Wehenschmerz ebenso

Willkommen in Maha Nandas wunderbarer Welt des Wahnsinns. Ja es ist wahr, wir sind zurück an Bord. Captain Christoph, der eventuell nicht unerschrockenste, aber definitiv der findigste und kreativste Captain, und seine definitiv unerschrockene Crew Ulli sind von ihrem österreichischen Nine-to-Five – besser gesagt – Seven-To-Seven-Arbeitsallltag rübergewechselt in den Segleralltag mit all seiner Unplanbarkeit. Die bad news zuerst: Mit Langfahrtsegeln ist da nix. Wir sind für spärliche zwei Urlaubswochen an Bord unserer Maha Nanda, ein seltsames Gefühl, nur ein kurzes Zeitfenster für ein seglerisches Intermezzo stehlen zu können, und doch fühlt sich vieles sehr vertraut an.

Vertraut in vielen Facetten und auf einige hätten wir eigentlich gut verzichten können. Wie das mit der Erinnerung so ist: Man erinnert sich an die besten Dinge und verdrängt die Schlimmsten. Es fühlt sich so an, wie die Geburtswehen. Der Erstgeborene ist zwei Jahre alt, während der zweiten Schwangerschaft hat man den Schmerz irgendwo im hintersten Hirnkastl verräumt und dann, wenn die erste richtig schlimme Wehe kommt, fällt’s einem wieder ein. Scheiße, jetzt weiß ich wieder, wie es sich anfühlt.

Die mieseste Marina ever

So in etwa ging’s mir, als… Naja, fangen wir mal von vorne an. Wir mussten Maha Nanda vor genau eineinhalb Jahren während des ersten Lockdowns fluchtartig verlassen (Wer sich nicht mehr erinnert: Alles nachzulesen in meinem letzten Blogeintrag vom März 2020), und ließen sie in der Marina Amarilla San Miguel auf Teneriffa zurück. Eineinhalb Jahre gab es nur ein paar spärliche und höchst unerquickliche Mails als einzige Verbindung zu unserem Jahr am Meer. Unerquicklich deshalb, weil die Marina Amarilla die mieseste Marina ist, die uns in dem Jahr unserer Reise untergekommen war. In Wahrheit wissen wir bis heute nicht, wofür genau wir Liegegebühr gezahlt haben. Die Festmacherleinen rissen und lösten sich mehrfach, und wurden nur von umsichtigen Seglern, denen unsere Maha Nanda Leid tat, versorgt, der Stecker des Stromkabels wurde offensichtlich bei einem Sturm zerstört, das zerbröselte Teil war von einem Marina-Angestellten auf unser Deck geworfen worden und niemand hatte sich die Mühe gemacht, uns zu informieren. Die Mitarbeiter der Marina waren nicht in der Lage, den Reserveschlüssel aufzufinden, als ein Freund von uns nach unserem Boot sehen wollte. Stattdessen schickten sie uns ein Foto vom Schlüsselbrett mit den Worten „Sorry, your key is not there.“ Auf dem Foto war Maha Nandas Schlüssel mit Christophs Visitkarte zu sehen…

Neun Stufen des 30-Stufen-Plans

Gerade jetzt haben wir genau zwei Wochen Zeit, unsere alte Stahllady vor dem Untergang zu retten. Unser Plan: Schnell weg aus dieser Marina des Grauens.

Stufe 1: Wir flogen mit zwei Taschen voll Werkzeug nach Teneriffa und besichtigten das Ausmaß der Vernachlässigung. Erkenntnis: Wir haben unsere Maha Nanda grundsätzlich, trotzdem wir nur zwei Tage Zeit hatten, bevor unser Repatriierungsflug ging, gut versorgt. Außen ist sie ein Bild des Jammers, rostig, voll Saharastaub; innen so, als wären wir erst gestern weggegangen, trocken, kein Schimmel, nur ein paar Wasserflecken unter den undichten Luken.

Stufe 2: Der Tag des Schrubbens. Mit Bürste und Rostlöser ging es dem Deck zu Leibe, die rostfleckigen Niro-Teile wurden poliert, Stromkabel gekauft, Maha Nanda wieder bewohnbar gemacht.

Stufe 3: Wir gelangen jetzt in den Bereich des vertrauten Alltagswahnsinns, also jenen Geburtswehen-Teil, den wir kurzzeitig vergessen hatten und auf den wir eigentlich gerne verzichten hätten können. Wir starten die Systeme, checken die Technik. Während ich gerade mit unserem Sohn Matthias telefoniere, startet der Captain die Maschine. Mit ziemlich viel Bauchweh – denn seit unserem Dieselpumpendesaster an der Algarve ( ebenfalls nachzulesen im Blog, September 2019) sind wir nicht ganz so überzeugt vom guten alten Bukh in Maha Nandas Stahlbauch. Jedoch über Live-Schaltung mit Matthias ertönt …. Jubel vermischt mit dem wunderbaren einzigartigen Brummen des Schiffsdiesel, der auf Anhieb(!) ansprang. Welch großartige News. Was der Gast unserer Live-Motor-Show nicht mitbekam, weil das Telefonat bereits beendet war: Der Captain konnte den Motor nicht mehr abstellen, die Stopptaste gab ihren Geist auf, hinter dem Schaltpaneel quoll Rauch empor und es stank verschmort. Kabelbrand? Kreisch! Das 40 Jahre alte Paneel ist mit sieben verschiedenen Schrauben fixiert für die der Captain sieben verschiedene Schraubenzieher brauchte und verrostet sind die Teile auch noch …. Währenddessen ortete ich mal vorsichtshalber den Feuerlöscher. Nach endlosen Minuten entdeckte Christoph schließlich die Ursache des stinkenden Qualms, ein Widerstand war verm#schmort. Der Motor lief immer noch. Sehr zuverlässig, eh – aber bei vollem Tank ohne Last würde er das noch tagelang tun. Der findigste Captain von allen öffnete kurzerhand die Motorabdeckung – was weitere sieben Schraubenzieher, Zangen und etliche weitere Werkzeuge in Anspruch nahm (wie gesagt, alles an Deck war eingerostet, festgefressen, unbeweglich) und stoppte die Dieselzufuhr. Stille. Herrliche Stille.

Stufe 4: Wir fanden in Windeseile einen Techniker – ein Niederländer, einer von jener uns aus der Lemmerschen Zeit bekannten Sorte, die keine großen Probleme sehen und alle kleinen Probleme in Windeseile lösen (nachzulesen in meinem Blog, April 2019), der die Stopptaste austauschte. Vielen Dank lieber Marc, du hast unsere Zeitpläne gerettet, denn …

Stufe 5: Maha Nanda wird startklar gemacht, denn für Mittwoch, den 15. September sind die Wetterprognosen perfekt. Segel anschlagen – passt. Seeventile checken, passt.
Sicherheitsausrüstung, passt. Und so weiter und so weiter. Ach wie schön ist das Seglerleben – und so erholsam.

Vergessen gibt’s nicht

Stufe 6: Jetzt wird’s richtig schön. Wir starten planmäßig am Vormittag. Kurs Richtung Puerto de Mogán auf Gran Canaria. Ihr werdet es nicht glauben, aber der erste Segeltag nach eineinhalb Jahren Abstinenz war perfekt! Beim Ablegen hatten wir ganz schwachen Wind, ideal um Segel zu setzen, zu trimmen, vorsichtig alle Systeme abzutasten, auch die eigenen. Wie geht’s einem denn nach so langer Zeit an Land? Wie lang dauert es, bis das Hirn wieder Fahrt aufnimmt, sich an die vielen Details erinnert, die nach einem Jahr auf Reisen zur Selbstverständlichkeit geworden waren? Also, unsere Hirne zeigen noch keine Zeichen von Demenz, die Hände erinnern sich noch daran, wie die Leinen belegt werden, wie die Winschkurbel zu bedienen ist, welche Leinen, welche Fallen welche Funktion haben. Die Füße erinnert sich, wo sie hinsteigen und vor welchen Hindernissen und Stolperfallen sie ausweichen müssen. Die Körper haben nicht vergessen, wie sie die Bootsbewegungen in der Welle ausgleichen müssen. Und Maha Nanda? Die lief immer besser, je mehr der Wind zunahm. Bei 27 Knoten und drei Meter Welle in der Acceleration Zone ( der Bereich zwischen den Kanarischen Inseln, wo sich der Wind an den Felsen vorbeiquetscht und gerne an unberechenbarer Geschwindigkeit zunimmt) schien sie in Hochform, so als würde sie jubeln: „Endlich darf ich wieder los, wo ward ihr so lange?“

Stufe 7: Wir erreichen am Abend exakt bei Sonnenuntergang planmäßig Puerto de Mogán, wo der treffsicherste aller Captains in gewohnt souveräner Art uns Weise anlegt. Auch das haben unsere Hirne, Arme, Beine, Füße, Hände nicht verlernt.

Stufe 8: Jetzt wird überlegt, was mit Maha Nanda weiter geschieht. Eines ist klar, sie muss aus dem Wasser raus, das Oberwasserschiff sieht grausam aus, das Rostloch, das Christoph nach unserer sagenhaften Sturmfahrt nach Marokko notdürftig überspachtelt hatte, gehört geschweißt – und viele andere kleinere Stellen an Rupf und Deck sowieso. Das Unterwasserschiff, dem der bemühteste aller Captains auf Teneriffa vergeblich mit der Bürste zu Leibe gerückt war, sieht heute schon viel besser aus. Die Muscheln kleben noch dran, aber einen Teil des Bewuchs hat Maha Nanda bei ihrer rasanten Fahrt über den Atlantik binnen zehn Stunden selbst entfernt. Praktisch, so ein selbstreinigendes Boot.

Stufe 9: Während wir überlegen, lernen wir interessante Menschen kennen. Auch das ist sofort wieder präsent: Das schönste an unserer Reise mit Maha Nanda waren die vielen Gespräche mit anderen Reisenden. Aus manchen Gesprächen wurden Freundschaften. In den vergangenen 18 Monaten haben wir viele Kontakte vernachlässigt. Wir waren an einem andere Ort, mit anderen Dingen beschäftigt. Wir haben harte Zeiten erlebt, haben liebe Menschen für immer verloren. Wir haben nur wenige Tage Zeit, um dieses Reisefeeling, diesen Spirit wieder zu finden. Es wird uns in dieser kurzen Zeit nicht ganz gelingen, aber ein bisschen davon ist gerade wiedergekehrt. Was danach kommt, ist noch offen, aber allen unseren Freunden, die uns in diesem einen Ausnahmejahr ein Stück auf unsere Weg begleitet haben, möchten wir sagen: Auch wenn der Alltag in Österreich unsere Gedanken an diese großartige Zeit verschüttet hat und wir uns viel zu wenig Zeit für Wichtiges – wie Freundschaftspflege – nehmen. Wir haben euch nicht vergessen, wir müssen nur ein kleines Bisschen von diesem Spirit mit nach Österreich nehmen. Das ist der Plan.

21 Kommentare

  1. Juhuuuuuuuuuuuuuu, Ihr seid wieder da! 🙂 🙂 🙂
    Liebe Ulli, lieber Christoph, es freut mich so sehr, wieder von Euch und der Mahananda zu lesen und zu wissen, dass es Euch gut geht – und der Mahananda auch, eben den Umstaenden entsprechend. Ich abe oft an Euch gedacht und auch daran, wie es dem Boot wohl ergehen wuerde, nachdem Ihr eben so fluchtartig verlassen musstet und nur das Allernoetigste tun konntet. Jetzt halte ich Euch die Daumen, dass Ihr eine bessere Marina gefunden habt und dass man dort Eure Mahananda wieder richtig in Schuss bekommt. Alles Gute der alten Dame! 😉 Und Euch natuerlich auch!
    Liebe Gruesse und macht’s gut,
    Pit
    P.S.: Viellelcht schaffen wir es ja (bald) einmal, uns auch per Videotelfonie [Skype, Zoom, oder Google Duo koennte ich anbieten] zu unterhalten. Und dann ziehen wir auch unser Projekt „Christophs Bilder“ durch!

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    1. Lieber Pit, wir haben oft an dich gedacht. Das Leben in Österreich ist wie eine andere Welt. Auch wenn’s nur zwei Wochen sind, ist das vertraute Gefühl, wie das Reisen am Meer war, fast wieder da. Wir melden uns wieder aus Österreich. dieses Mal wird das Skypen klappen 👌

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  2. Mann, das gibt’s ja nicht! Das freut mich so, dass Ihr wieder zurück seid auf Eurer alten Lady! Der Bericht: wie immer sehr anregend. Die Emotionen: wie immer sehr vertraut. Ich habe ebenfalls immer mal wieder an Euch gedacht in den letzten eineinhalb Jahren. Ich gönne es Euch wirklich sehr. Wir Segler müssen zusammenhalten! Auch wenn es nur für zwei Wochen ist, aber es ist ein Anfang!
    Gruss, Sergio,
    der Schiffbrüchige.

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  3. Liebe Ulli, deine Reiseberichte sind einfach super! Interessant, amüsant und spannend. Wünsche euch viel Erfolg, dass ihr all eure Pläne umsetzen könnt und viel Freude mit eurer Mahananda Liebe Grüße Ilse und Gerhard Von meinem/meiner Galaxy gesendet

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