Friedliche Meeresungeheuer und Weihnachtsfrieden am Meer

Das Meer lehrt uns Demut. Bitte lest weiter, es kommen in diesem Beitrag noch Neuigkeiten, aber ich musste diesen altbekannten Standard loswerden, auch wenn diese Einleitung gegen alle journalistischen Grundregeln verstößt. (Für alle Nicht-Journalisten: Plattitüden à la „Salat ist gesund“ garantieren Leserschwund). Aber wenn du auf die richtige Stimmung des Meeres angewiesen bist und wenn deine Pläne nicht wahr werden, weil tosende Brecher und sturmgepeitschte Schaumkronen sie zunichte machen und wenn du Tage später bei sanfter Brise und dem blausten aller blauen Himmel und auf der ruhigsten aller ruhigen Seen deinem Ziel entgegenschaukelst, taucht genau diese Plattitüde unweigerlich in deinen Gedanken auf.

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Weihnachtsstimmung an Bord von Maha Nada. Am Heiligen Abend verschickten wir Grüße an unsere Lieben.
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Aufjamariert (Hochdeutsch: aufgebrezelt) für das Weihnachts-Dinner ein Essaouria.

Wer es über diesen ersten Absatz geschafft hat, erfährt jetzt die Neuigkeit: Wir haben die Kanaren erreicht! Genau jetzt liegt unsere Maha Nanda so ruhig wie seit Wochen nicht mehr in der Marina Puerto Calero auf Lanzarote. Und sie strahlt. Denn gestern war Großputztag und wir haben dem Dreck, der sich über unsere schöne alte Lady gelegt und sich in ihr und auf ihr festgefressen hat, den Garaus gemacht. Mit Schrubber, Bürste und Fetzen rückten wir der dicken Kruste aus Salz, Saharastaub, Hafendreck und Fischschuppen zu Leibe. (Die Fischschuppen fanden wir sogar im letzten Eck im Vorschiff in unserer Koje). Wir weichten die Leinen in Süßwasser ein, schrubbten die Fender, die die orangefarbene Erinnerung des marokkanischen Rettungsbootes, an dem sich Maha Nandas Rumpf zwei Wochen gerieben hatte, bis zu den Kanaren mitgebracht hatten. Wir reinigten die Segel und das Cockpit, polierten den Rumpf so gut es eben möglich ist (die Kampfspuren zeugen von Tapferkeit – reden wir uns zumindest ein) und wuschen etliche Maschinen Wäsche. Ach ja, wir selbst glänzen auch wieder von Kopf bis Fuß – und fühlen uns auf einmal so… zivilisiert.

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Hurra, wir lassen den Hafen von Essaouria hinter uns!

Was uns aber richtig aufblühen lässt, ist der Spätfrühling. Wir haben 261 Meilen Richtung Südwesten zurückgelegt und eine neue Klimazone erreicht, denn auch wenn der Süden Marokkos mit mildem Klima gesegnet ist, waren die Nächte kühl und feucht, Kühle und Tau blieben bis zum späten Vormittag und setzten am späten Nachmittag wieder ein. Hier aber an der Südostseite von Lanzarote sind die Nächte deutlich milder und die Luft ist so trocken, dass Maha Nandas Inneres sein Tropfsteinhöhlen-Dasein beendet hat. Vielen Dank lieber Wettergott.

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Spektakulärer Sonnenuntergang über dem Atlantik.
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Die Lichtspiele bei Sonnenuntergang sind unvergleichlich.

Ja, dem alten Poseidon müssen wir diesmal wirklich danken, denn lange genug hat er uns schmoren lassen, oft genug hat er unsere Pläne, Essaouria zu verlassen, durchkreuzt, aber endlich am ersten Weihnachtstag schickte er gnädig den lang ersehnten Nordwind in Kombination mit sinkender Wellenhöhe und Maha Nanda durfte über die Dünung von zwei Metern aus der Hafeneinfahrt, die das Meer vierzehn Tage für uns gesperrt hatte, hinaustanzen. Die rote Markierungstonne, die ein Flach vor dem Hafen kennzeichnet, ließen wir – wie  auch alle Fischerboote, die an diesem perfekten Tag in Scharen ausliefen – backbord. Warum dieser seglerische Frevel? Tja, die Megawellen, die tagelang in die Bucht von Essaouria gelaufen waren, hatten solche Kraft, dass sie die Tonne, die mit Ketten an riesigen Betonklötzen befestigt ist, in Bewegung versetzt hatten, die zwei Klötze waren Schritt für Schritt ein paar Hundert Meter Richtung Osten gewandert und die Tonne befand sich schlicht und einfach an der falschen Stelle.

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Es gibt immer was zu tun: neue Fenderleinen werden befestigt.

Knappe drei Tage dauerte unsere Überfahrt von Marokko bis zu den Kanaren und drei Tage lang erlebten wir etwas, was wir noch nie drei Tage lang durchgehend erlebt hatten. Der Atlantik benahm sich wie der stille Ozean und erhob seine Dünung niemals über zweieinhalb Metern. Der Wind blies mäßig bis schwach durchwegs aus der richtigen (!) Richtung, nämlich aus Nordost bis Ost und die Temperaturen waren mild.

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Es gibt immer was zu tun: der Captain übt sich – erfolglos – im Takeln.

Lustig war es, am Christtag, umgegeben von nicht mehr und nicht weniger als Wasser und Himmel, „Merry Christmas“-Funksprüche zu hören, und vor lauter Fassungslosigkeit ob solch guter Bedingungen fiel uns erst am zweiten Tag ein, dass wir ja die Gelegenheit hätten, andere Dinge zu tun, außer aufs Meer zu starren und die Wellen zu beobachten, also Gitarre spielen, singen, richtig gut und viel essen, lesen, schreiben…

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Endlich essen! Gibt es etwas Schöneres auf See?
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I am sailing….räusper, räusper

Obwohl das stundenlange Aufs-Meer-Starren durchaus seine Berechtigung hat, denn von den Farben und Formen des Wasser kann man einfach nicht genug bekommen. Ständig ändert sich das Meer und die Sonnenauf- und Untergänge sind jedes Mal anders und jedes Mal spektakulär. Außerdem haben uns etliche Delphine begleitet und ihre Akrobatikeinlagen zaubern uns immer ein Strahlen aufs Gesicht. Sogar zwei ganz kleine haben uns dieses Mal eine zeitlang begleitet und wie es von den Kleinen nicht anders zu erwarten ist, zeigten sie uns direkt neben Maha Nandas behäbig und walrossartig durch die Wellen pflügenden Rumpf außergewöhnlich übermütige Sprungeinlagen und Salti.

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Es gibt immer was zu tun: die Furlex hängt.
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Es gibt gerade nichts zu tun: muss mal ein bisschen Schlaf nachholen

Während einer Nachtwache hatte Christoph schließlich eine Begegnung mit einem Meeresungeheuer. Zumindest war er kurze Zeit der Überzeugung, ein solches entdeckt zu haben. Entspannt hinter dem Steuerrad sitzend erblickte er achtern eine riesige weiße Seeschlange, die  in gleichförmigen Kreisbewegungen dem Boot folgte. Irgendwann brachte der mutigste Captain von allen den Mut auf, seine Taschenlampe auf das Ungeheuer zu richten und es entpuppte sich als – Delphin. Der schwamm in Schlangenlinien, seinen weiße Bauch zeigend, hinter uns her und erzeugte kreisförmige Muster auf der Wasseroberfläche.

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Das obligate Selfie in der Mitte der Strecke.

Wenn du das an dieser Stelle Tausend Meter tiefe Meer beleuchtest, entdeckst du erst, welches Leben sich hier abspielt. Delphine tauchen ab, wenn sie angeleuchtet werden, aber Fische fühlen sich von Licht angezogen, ganze Schwärme kommen heran und ihre Glotzaugen leuchten rot, wenn sie vom Schein der Lampe erfasst werden. Außerdem werden unter dem Licht der Taschenlampe die banalsten Alltagsgeschehnisse für unsere Augen sichtbar. Das wunderbare Meeresleuchten, diese phosphoreszierenden grünen Streifen und Sterne im Wasser, diese einmaligen Muster, die neben uns in den Wellen tanzen, entstehen durch Plankton. Unter anderem. Sie werden aber auch – das haben wir mit eigene Augen gesehen – durch Delphinkacke gebildet. Durch die Welle in Bewegung versetzt, von den Sternen beleuchtet, durch das Wasser gebrochen, wird sie zu geheimnisvollen, farbenprächtigen Lichtsignalen. So schön kann Delphinkacke sein.

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Land in Sicht?
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Land in Sicht!

Am Ende des zweiten Tages, kurz vor Sonnenuntergang suchten wir mit dem Fernglas gebannt den Horizont ab. 21 Meilen vor Graciosa und immer noch kein Land in Sicht? Der Himmel war strahlend blau, aber diesig, da wir genau auf die untergehende Sonne zufuhren und dann – genau im Moment, als die Sonne den Horizont berührte, rief der Captain „Land in Sicht“ und wirklich war in der Ferne über einem dünnen Wolkenband die Silhouette der Gipfel der Vulkaninsel zu sehen.

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Perfekter Sonnenuntergang vor Graciosa.

Am 28. Dezember um 3.30 Uhr nachts erreichten wir schließlich die Hafeneinfahrt von Puerto Calero, einem kleinen Ort südlich der Hauptstadt Arrecife, bekamen sofort von einem Marinero einen Platz im Hafen zugewiesen und – welch unglaublicher Zufall: Wir machten direkt neben dem Katamaran Gin Gin fest. Zufall? Da kenne wir Rita und Frank schlecht. Am späten Vormittag, als wir so ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr unserer Köpfe aus der Luke steckten, grinsten uns unsere Freunde schon von nebenan zu und luden uns zum Frühstück mit frischen Semmeln zu sich an Bord ein. „Wir haben das Marinapersonal schon Tage zuvor über euer Kommen informiert und darauf bestanden, dass ihr genau diesen freien Platz neben uns bekommt“, sagt Rita. Manches wird so einfach, wenn gute Freunde die Dinge in die Hand nehmen.

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Welcome to the Canaries!

17 Kommentare

  1. YEAH!!! Ihr seid auf den Kanaren!!! Herzlichen Glueckwunsch! Und dann alles Gute im Neuen Jahr: fair winds!
    Liebe Gruesse,
    Pit
    P.S.: Wenn ich einen Satz aus Deiner Einleitung etwas abwandle, dann hast Du hier ja sogar eine gereimte Lebensweisheit hinterlassen.
    Salat essen ist gesund,
    Und garantiert den Leserschwund

    😀

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  2. Schön zu lesen dass es euch gut geht ich wünsche euch viel Glück Erfolg und sturmfreies segeln im neuen Jahr!!!🥂🍾🎆⛵🏖🌞😘Von meinem Samsung Galaxy Smartphone gesendet.

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