Können wir bitte ein bisschen Langeweile haben? Für für ein paar Tage! Einmal nur ein bisschen weniger Action! Wir war das noch gleich? Freunde und Bekannte fragten uns vor unserer Abreise, was wir denn dieses Jahr die ganze Zeit machen würden. Wochenlang auf diesem kleinen Boot zu zweit sitzen müsse doch furchtbar öde sein….
Aber warum sollen Nicht-Segler irgendeine Vorstellung vom Langfahrtsegler-Alltag haben, wenn sogar unsere Phantasie nicht für die vielen Erlebnisse, Pannen ebenso wie phänomenale Momente, ausgereicht hatte? Getreu dem Motto „Alles, was an Bord kaputgehen kann, geht kaputt“ arbeiten wir die Kaputtgehliste ab. Gestern war der Motor dran.


Nach einer entspannten Nachtfahrt von Sines Richtung Süden – bei wenig Wind aus Norden – hatten wir kur vor Sonnenaufgang Cabo Sao Vicente erreicht, den südlichsten Punkt des europäischen Festlandes, einen beindruckenden Felsen, dessen Gipfel dort ins Meer ragt, wo Europa endet. Vor Jahren hatten wir in Portugal mit unseren Kindern Urlaub gemacht, waren mit einem Mietauto kreuz und quer durch die Provinzen Alentejo und Algarve gefahren und auch staunend am Kap gestanden. Stürmisch war es damals – der Kontrast zur Hitze der Badebucht bei Lagos konnte an diesem Tag nicht größer sein. Wir hielten dem starken Westwind stand, blickten in die Richtung aus der er wehte, sahen hinunter in die gegen das Kap schäumende Gischt, beobachteten ein einsames Segelboot, das sich hart am Wind Richtung Südwesten kämpfte und stellten uns vor, wie es wäre, auf diesem Boot zu sein…


Als wir gestern das Kap passierten, ging die Sonne auf. Ein perfekter Moment an einem perfekten Tag. Der Wind entschloss sich endlich, doch noch zuzulegen und wir sausten Richtung Lagos, freuten uns, unsere kalkulierte Zeit deutlich zu unterbieten, wenn der Wind stabil bliebe…. Was er natürlich nicht tat, weil er das nie tut. Seit vier Monaten nicht. Den idealen Wind gibt es nicht, das haben wir in diesen vier Monaten auf See gelernt. Es gibt nur einzelne ideale Stunden, die man ganz spontan bewusst genießen muss, wohl wissend, dass ebendiese Idealform nur von kurzer Dauer sein wird.

Langer Rede kurzer Sinn: Acht Meilen vor Lagos schlief der Wind völlig ein. Flaute. Absolute Flaute. Kein Windhauch. Nach einer Stunde des Wartens und Hoffens, ob der Wind vielleicht drehen würde, und einem kurzen Check auf Windy, Windfinder und Windguru war klar: Da kommt bis zum Abend nix mehr. 0,7 bis 1,5 m/s Maximum. „Wir starten die Maschine“, sagte der Captain kurz entschlossen und startete. Kurzes eierndes Geräusch, dann Stille. Nanu? Wir probieren’s noch mal, und noch mal und noch mal.

Minuten später rückte der meisterhafteste aller Mechanikermeister mit dem Werkzeugkoffer an, versuchte verschiedenste Tricks, um den alten Bukh in die Gänge zu bekommen – aber nichts. Der wollte heute offensichtlich nicht mehr. Vielleicht war ihm zu heiß. Immerhin verzeichneten wir gestern den ersten richtig heißen Tag seit unserem Reisestart im Mai. Ich meine so richtig heiß. Afrikanische Hitze.

Einige Funksprüche, Telefonate und Stunden später rückte schließlich Hilfe in Form eines Motorbootes an. Wir wurden in den Hafen von Lagos geschleppt, was sich letztendlich als echtes Spektakel erwies, denn der Bootsführer hatte – so erklärte er uns hinterher – einen Aushilfs-Mitarbeiter an Bord, der von Abschleppen im Allgemeinen und Knotologie im Besonderen keine Ahnung hatte, was am Meldesteg der Marina Lagos vor der Klappbrücke zu großem Hafenkino führte. Der Mann hatte bei dem heiklen Manöver im Kanal nicht begriffen, wie und wo die Leinen zu befestigen seien, verstand die Kommandos des Bootsführers falsch, kreischte in höchsten Tönen rum und warf schließlich die Leine, die an Maha Nandas Bug hätte befestigt werden sollen, wutschnaubend ins Wasser.
Jetzt liegen wir jedenfalls sicher und gut versorgt in der Marina und werden die nächsten Tage mit allerlei Reparaturarbeiten verbringen. Schön ist doch das Seglerleben. Christoph ist gerade mit dem Rad zum Baumarkt unterwegs, denn ein paar Schrammen in Maha Nandas schönem blauen Rumpf wollen gespachtelt und lackiert werden und dann schauen wir mal, was so alles auf der To-Do-Liste steht. Ihr erinnert euch? Diese ominöse Liste die paradoxerweise immer länger wird, je mehr man streicht.


Aber was soll’s: Jammern ist hier fehl am Platz, immerhin haben wir Sommer und Sommer wird es bleiben, denn von der wunderschönen Küste der Algarve werden wir nach Afrika übersetzen. „Die raue europäische Festlandküste haben wir jetzt endgültig hinter uns“, strahlt der kälteempfindlichste aller Captains und schwitzt begeistert vor sich hin. Er ist einer, der bei 35 Grad erst so richtig aufblüht, der Ärmelkanal wird wohl nie sein Lieblingsrevier werden. An dieser Stelle muss ich jetzt – wie zu erwarten, wenn’s ums Wetter geht – meinem Ehemann und Meister widersprechen, denn wir haben an der Westküste der iberischen Halbinsel sehr wohl wunderbare Sommertage erlebt, auch wenn’s zwischendurch immer wieder kühle Winde, Nebel, Regen und bis zu drei Meter Dünung gab, überwogen doch die schönen Tage.

So hatten wir das vergangene Sommer-Wochenende in Sines verbracht, dem letzten Hafen vor Cabo Sao Vicente, 60 Meilen nördlich von diesem. Der ehemalige kleine Fischerhafen wurde vor etlichen Jahren um einen großen Industriehafen erweitert – am riesigen Containerterminal ist der Hafen Singapur beteiligt – und petrochemische Industrie entwickelte sich zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor des kleinen Städtchens, aber der alte Ortskern in all seiner Schönheit, nur zehn Gehminuten von der Marina entfernt, ist erhalten geblieben.

Darüber hinaus ist Sines Schauplatz eines bedeutenden Stückes Seefahsrergeschichte, denn hier wurde Vasco da Gama geboren, der Mann, der 1497 auf dem Schiff Nao Sao Gabriel den südlichen Seeweg nach Indien entdeckt hatte. Wieder einmal staunen wir über den Wagemut jener Seemänner, die mit den damaligen, völlig unzureichenden Hilfsmitteln in absolut unbekannte Gewässer vordrangen, um neues Land zu entdecken. Es heißt, dass an Bord seines Schiffes die besten Seeleute und mit den Revieren vor der afrikanischen Küsten vertraute Männer mitsegelten aber wir fragen uns, was genau diese Seeleute und Navigatoren tatsächlich über den Atlantik und den indischen Ozean gewusst hatten? Nichts im Vergleich dazu, was heute jedes Schulkind lernt und noch weniger im Vergleich zu dem Wissen, das uns dank Revierführer, Plotter, Internet und sonstigen technischen Hilfsmitteln zur Verfügung steht.

Wie einfach das Segeln im dritten Jahrtausend ist! Und trotzdem ist es für jeden einzelnen Skipper einer kleinen Segelyacht eine Herausforderung, denn egal wie hochtechnisiert unsere Boote heute sind: Niemals unterschätzen wir den Ozean, auf dem wir uns als winziges Pünktchen bewegen uns seine unglaubliche Energie, die er mühelos entwickeln kann. Zu unserem Nutzen aber auch gegen uns. Wie es ihm gerade gefällt.
Wunderbare Bilder! 🙂 Ein Augenschmaus.
Viel Glueck bei den Reparaturarbeiten.
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Vielen Dank für diese Reise die wir dank eurem erst klassischen Bericht mit erleben können
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Liebe Gerlinde, ich finde es so schön, dass du so fleißig mitliest!! Liebe Grüße aus Lagos an der Algarve 😘
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Da kommen wieder alte Erinnerungen hoch…
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Warst du auch in Lagos? Mit dem Segelboot?
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Ja, während unserer Weltumsegelung 94-97 und 2018 mit dem Wohnmobil. LGLore
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Wow, seid ihr immer noch mit dem Boot unterwegs?
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Wir sind ja Pensionisten, also keine Eile…😉
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