Maha Nandas steinige Wege zum Ziel

Bonjour Roscoff! Was russisch klingt ist bretonisch, keine Sorge, wir haben uns nicht Richtung Nordosten verirrt sondern befinden uns immer noch im Ärmelkanal, wenn er sich auch schon ein bissl atlantisch anfühlt. An der Dünung spüren wir, der Atlantik ist nicht mehr weit, fast können wir die unsichtbare Grenze zwischen ihm und dem English Channel sehen.

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Jetzt kommen wir zum Wesentlichen, jetzt muss ich Captain und Crew wirklich auf die Schulter klopfen. Zweimal souverän gemeistert, das Anlegen. Zweimal eine echte Herausforderung, wenn auch völlig unterschiedlicher Natur. Gestern in Roscoff hieß es geradeaus in die Box fahren, also bitte: das kann ja nicht so schwer sein. Wäre da nicht der Current. Der Strom, der hier sogar im Hafenbecken sein Unwesen treibt. Zuerst lasen wir die Warnung in Tom Cunliffs Shell Channel Pilot, dann sahen wir eine Infotafel über der Hafeneinfahrt: Attention strong current! Und schließlich spürten wir es am eigenen Leib, respektive an Maha Nandas Stahlrumpf, der trotz Rückwärtsgang unbeirrt vorwärts in Richtung Steg steuerte. Jedoch, was soll ich sagen, der Captain behielt die Nerven, die Crew zeigte sich von ihrer behändigsten Seite, nach kurzer Schrecksekunde legten wir vorbildlich an.

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Brittany Ferry in der Hafeneinfahrt von Roscoff

Dass wir richtig gut gewesen waren, bemerkten wir im Laufe des Nachmittags, als wir die unglaublichsten Manöver des letzten Augenblicks erleben durften. Staunend beobachteten wir ein Segelboot unter französischer Flagge, das scheinbar ungebremst mit mindestens fünf Knoten Fahrt auf den Platz an unserer Steuerbordseite zusteuerte. Wäre der geistesgegenwärtige, backbord liegende Stegnachbar nicht in letzter Sekunde gestikulierend und „Attention, courant!“ brüllend über seine Reling auf den Steg gehechtet, würde der Rumpf des Rasers jetzt wohl im Steg stecken.

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Erfolgreich festgemacht im Hafen von Roscoff. © Christoph Potmesil

Auf der Vis-à-vis-Seite scheiterten kurze Zeit später zwei junge Holländer beim „Einparken“, erst rammten sie den zehn Meter hohen Eisenpoller, dann zerstückelten sie ihre Ruderanlage. Ziemlich viel Geschrei und Gefuchtel war heute beim Roscoff’schen Hafenkino zu erleben, beste Voraussetzungen für Freundschafts-Aufkündigungen und Ehekrisen.

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Ankunft in Ploumanac’h
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Die rote Spiere trägt unten eine Markierung, der Schatten im Wasser ist die Betonwand, die das Hafenbecken vor dem trockenfallen schützt

Passend zu unserer Stahllady bewies ihr Captain ein paar Tage davor in Plounmanac’h Nerven aus Stahl, denn dieser Hafen fordert Segler wiederum zu einer besonderen Challenge heraus. Erst musst du dich durch eine von Gestein gesäumte Passage schlängeln – immer mit Blick auf den Tiefenmesser, denn die Steine lauern überall. Dann kommt die wahre Hürde. Wie in St Peter Port auf Guernsey befindet sich direkt vor dem Hafenbecken eine Betonwand, die das Trockenfallen desselben verhindert. Allerdings gibt es hier keinen Hafenmeister, keine Ampel und kein Tor, sondern „It’s a matter of working out if there is enough rise to float you over the sill“, schreibt Cunliff. Soll heißen, du musst dich selbst um dein Problem kümmern, denn vor dem „Sill“ – also der Betonwand – befindet sich eine Messlatte, die die Wasserhöhe über der Barriere anzeigt. 

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Blick von unserem Boot Richtung Ploumanac’h
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La Cote de granit rose

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Als wir – wie immer bei Ebbe – ankamen, zeigte die Messlatte 1,50 Meter. Der Tiefgang unsere Maha Nanda beträgt… 1,50 Meter. Im Bewusstsein, dass der Wasserspiegel demnächst um einen weiteren Meter fallen würde und Option No. 2  – Ankern in unbekannten, vermutlich trockenfallenden und sicherlich steinigen Gewässern – keine wirkliche Option war, dachte der unbeirrbarste Captain von allen „Jetzt oder nie“ und steuerte Maha Nanda scheinbar unberührt im Kriechgang weiter geradeaus. Eine Hand am Gashebel, bereit für den Rückwärtsgang im Falle von knirschenden Geräuschen. Wir hörten… nichts und glitten lautlos über das Sill. Gewonnen!

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La Cote de granit rose
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La Cote de granit rose

Mit Ploumanac’h haben wir beinahe den Jackpot gewonnen, denn dieser Ort ist magisch. Schon die Einfahrt zwischen den in der Abendsonne leuchtenden rosa Granitfelsen, die der Küste den Namen „Cote de granit rose“ geben, ist atemberaubend, die letzte Meile durch die Gesteinslandschaft, die Vorbild für  die Kulisse von „Krieg der Sterne“ sein könnte, ist unvergleichlich und das Hafenbecken, um das sich die alten Häuser des bretonischen Dorfes schmiegen, ist Idylle pur.

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Die Hafeneinfahrt von Ploumanac’h – entlang der Spieren musst du dich vorwärtstasten

Luxusgeschöpfen rate ich allerdings vom Besuch Ploumanac’hs ab, denn Bootsstege findet man hier vergeblich, also geht’s nur per Dinghi zur Dusche und in die Ortschaft zum Einkaufen. Obwohl das mit dem Einkaufen so eine Sache ist. Der Hafenmeister – pardon -lehrling – war merklich überfordert mit uns, da nur der französischen Sprache mächtig und von Österreich noch nie in seinem Leben gehört. Zudem kannte er sich in der Ortschaft – die nur aus zehn Gassen besteht – nicht wirklich aus, denn zuerst wollte er uns auf unsere Frage nach dem nächsten Supermarché in den zehn Kilometer entfernten Nachbarort schicken (anscheinend war ihm just in dem Moment entfallen, dass er vor sich zwei Segler ohne Automobil im Hafenbüro stehen hatte), dann schickte er uns ins Dorfzentrum zu einer Boulangerie, die schon seit mehreren Jahren geschlossen hatte. Immerhin bekamen wir in einem Souvenir-Shop Haltbarmilch – mehr Einkaufsmöglichkeit hat Ploumanac’h leider nicht zu bieten.

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Ploumanac’h: Wurde hier Krieg der Sterne gedreht?

Zwei Tage später dann Roscoff, in jeder Hinsicht das Gegenteil: Die Marina ist, was Technik und sanitäre Anlagen betrifft, top – und ansonsten nichtssagend. Eine moderne Marina eben, aber ohne Flair und absolut austauschbar. Dafür ist die Hafenmeisterin höchst kompetent, sie spricht Englisch, informiert ungefragt über die Möglichkeiten der Marina – von Laundry über Fahrradverleih bis zu Frühstücksgebäck-Service – und zeigt uns am Stadtplan souverän den nächsten Supermarkt – der allerdings gestern, Sonntag, geschlossen hatte. 

Was dein wichtigster Job als Tourist in Roscoff ist, wird dir sofort klar, wenn du durch die bretonische Altstadt wandelst: Crepes Essen. 20 Creperien auf vier Kilometern. Wer da hungrig bleibt, ist selbst schuld (oder hat eine Lactoseunverträglichkeit).

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Die Altstatt von Roscoff
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Der alte Hafen von Roscoff – fällt bei Niedrigwasser komplett trocken

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