Maha Nandas Breakdance-Einlage

Hurra, wir haben den Nullpunkt erreicht! Ich meine natürlich den Nullmeridian. Minutenlang habe ich gebannt den Cursor auf unserem Plotter beobachtet, der langsam von 0°00’ 183’’ rückwärts zählte, und dann… Kurzer Freudentanz des Captain am Steuerrad: Um Punkt 12 Uhr wechseln wir, mit Blick auf die Kreidefelsen zwischen Newhaven und Brighton, auf die Westhälfte unserer Erdkugel. Ab sofort ist Maha Nandas Längengrad-Position West – und das wird für sehr lange Zeit so bleiben, denn gestern sind wir in Brighton angekommen und morgen wollen wir, sofern der angekündigte Nordwind wirklich aus Norden weht, weiter Richtung Westen.

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Genau an dieser Stelle zwischen Newhaven und Eastbourne haben wir den Nullmeridian überquert.

Zwischendurch ist Brighton-Sightseeing angesagt und Christoph muss noch ein paar Sachen reparieren. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass wir fortwährend am Reparieren sind? Also… nicht wir sondern der Captain, der sich im Laufe des Jahres – davon bin ich überzeugt – zum Schiffsingenieur entwickeln wird. In irgendeinem Land der Erde, dort wo immer Sommer ist (nicht britischer sondern echter) und wo kein Mensch nach Konzessionen, Diplomen oder kuriosen Titeln wie Bac. phil. (FH), Mag.a. arts…. fragt, wird er sich niederlassen und mit seinen ehrlich und wahrlich hart erworbenen Kompetenzen glänzen. Als Experte für eh alles.

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Perfekte Segelbedingungen bei Beachy Head am Weg nach Brighton

Folgendes Szenario tauchte während unserer Überfahrt zwischen Calais und Dover auf und offenbarte erst nach und nach seine Ursache. Es begann damit, dass wir, die glückstrahlend den neuen Autopiloten beobachteten, der Maha Nanda völlig selbstständig (wie es sich für eine Selbststeuerung gehört) und zuverlässig exakt auf Kurs hielt, plötzlich Stromabfall bemerkten. Mist, wieso braucht der Autopilot mehr Saft als unser Solarpanel und der Windgenerator produzieren? Bei viel Wind und Sonnenschein! Ach so, der Kühlschrank läuft noch. Kühlschrank aus – und die Batterie verlor weiter an Spannung. Schließlich nahmen wir alle Geräte außer den Plotter vom Netz und eine halbe Stunde später schaltete sich der Plotter aus. Totaler Stromausfall in der Mitte des Ärmelkanals. Kurs zu halten war zwar auch ohne Plotter kein Problem, denn wir steuerten genau auf Dover zu und die Chance, den Hafen nur mit Hilfe des Magnetkompass und der Seekarte zu verpassen, lag gegen Null, aber in den busiest port of Europe in der Nacht ohne Funkgerät einzulaufen versetzte den Captain nicht gerade in einen Freudentaumel. Der findigste Ehemann von allen, fand jedoch rasch eine Lösung und schaltete auf die Starterbatterie um, ließ den Motor im Leerlauf mitlaufen und – voilà wir hatten wieder Strom.

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Ablegen aus Dover

In Dover stellte Christoph nach einer gröberen Fehlercheck-Aktion fest, dass eine Batterie unserer Akkubank völlig hinüber war, tauschte sie erfolgreich gegen eine neue aus und… hurra, wir haben wieder volle Leistung, jedoch… Generator und Panel  produzieren 0 Watt. In Worten: Null. Derzeit zeigt der Laderegler genau 69 Stunden, ohne  Einspeisung und der Schiffstechniker in spe baut gerade das Teil aus.  Über den bekannten Satz „alles, was an Bord kaputtgehen kann, geht kaputt“ lache ich schon lange nicht mehr.

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In der Schleuse vor der Marina Eastbourne ist es ziemlich busy

Gelacht hat allerdings der Captain. Beim Abstecken unseres Kurses von Dover nach Eastbourne fragte ich noch harmlos mit Blick auf die vor dem Hafen eingezeichneten „Overfalls“: „Was ist das eigentlich?“ Ein paar Stunden gab mir das Meer in eindrucksvoller Weise Antwort. Overfalls sind Kreuzseen und Verwirbelungen, die durch Wind, Strömung, Tide und Flachstellen entstehen und zweitweise richtig ungemütlich werden. So geschehen kurz vor Eastbourne, auf das wir mit ordentlichem Vorwindkurs, den Strom mit uns, in rasantem Tempo zurauschten. Die Welle hatte ziemlich zugenommen, aber vor dem Hafen, genau zu dem Zeitpunkt, als ich Maha Nandas Nase um 180 Grad drehte und das Boot in den Wind stellte, damit Christoph das Groß bergen konnte, kam die Welle nicht mehr nur von achtern, sondern von überall und wir waren mittendrin in den schönsten Overfalls, wie sie im Buche stehen. Das Segelbergemanöver geriet zur akrobatischen Nummer, während Maha Nanda im bewährter Tagada-Manier eine schiffige Breakdance-Einlage gab. Gut, während der Tanz-Einlage wirkte das Lachen des Captain ein wenig… verzerrt, aber hinterher, als wir in der völlig wellenlosen, ruhigen Marina Eastbourne lagen, grinste er: „Ich denke, jetzt weißt du, was Overfalls sind.“

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Der höchste Kreidefelsen Englands, Beach 

Das Meer macht bekannterweise was es will und selten das, womit du rechnest, denn vor dem höchsten Kreidefelsen Englands, Beachy Head, den wir wegen der in der Karte eingezeichneten Overfalls in Respektabstand umrundeten, erwiesen sich diese als völlig harmlos. Der Wind hatte auf Nordnordost gedreht, Maha Nanda performte einen perfekten Halbwindkurs und durchschnitt elegant und stabil die Wellen. Kein Tagada, keine Akrobatikeinlage waren angesagt, stattdessen segeln, Kaffee trinken und den Ausblick genießen. Dass wir den extrem entspannten Segeltag vor der Hafeneinfahrt von Brighton mit einer weiteren Breakdance-Nummer beendeten, ist ja wohl Ehrensache. Ein Tage ohne Abenteuer? Wie langweilig.

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Sechs von den Seven Sisters, die berühren Kreidefelsen an der englischen Küste bei Eastbourne und Newhaven

 

13 Kommentare

  1. Selber Schuld!
    Als ich gestern meinem Mann deinen Bericht vorlas, liebe Uli,meinte er, das darf ich jetzt immer tun. Du schreibst so toll, dass man sich beim Lesen schon auf den nächsten Bericht freut. Ich bewundere euch!!!! Viele liebe Grüße Elfriede.

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  2. Liebe Uli, lieber Christoph,
    Ich wünsche euch weiterhin ganz viel Spaß auf eurer spannenden Segelfahrt!
    Ganz liebe Grüße aus dem heißen 🥵Wien,
    Anita

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  3. Ich gehe mal davon aus. dass Ihr wieder Strom habt. Sonst waert Ihr ja nicht weiter gesegelt. Was war denn die Ursache?
    Die Marina Brighton war unser Umkehrpunkt auf dem Kanaltoern, weil die Zeit draengte. Ist ja bei Charterern einfach so.
    Meine Story zu Brighton: Damals war es eine riesige Marina, die groesste in Europa, wenn ich mich recht erinnere, mit 2000 Liegeplaetzen – 1000 im tideabhaengigen Bereich an Schwimmstegen, und die anderen 1000 hinter dem Absperrtor [das dann eben nur zu ganz bestimmten Zeiten offen war], an festen Stegen. Die Schwimmstege waren uebrigens absolut imposant: aus Beton und ZWEI Stockwerke hoch! . Aber die Planer hatten sich ganz gewaltig verschaetzt. Die Kapazitaet war viel zu gross, und spaeter hat man den tideunabhaengigen Teil zu einem Wohnbereich umgebaut, mit Haeusern am Wasser. Habt Ihr ja bestimmt gesehen.
    Wir kamen da mitten in der Nacht von Boulogne aus an, aber auch da war das Hafenmeisterbuero noch besetzt. Da war jemand da rund um die Uhr. Ich also hin, um uns anzumelden, und dann schaute der Mann auf seinen Computer und gab uns einen Liegeplatz mit den Worten, „Da ist ein Platz frei. Aber wenn ihr hinkommt und der ist belegt, dann sucht euch einfach einen anderen aus.“ Erstens: wozu dann den Computer? Und zweitens: das fuehrte doch nur zu weiterem Chaos, da er dann nicht wissen konnte, wo wir waren und wo ein zuvor freier Platz nun belegt war. Ziemlich seltsames Verfahren. Uns war es aber egal, denn wir hatten einen Liegeplatz, und aus Zeitgruenden mussten wir eh am naechsten Nachmittag schon wieder auslaufen.

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    1. Aha, jetzt ist uns klar, warum der Hafen durch einen Wohnbereich geteilt ist. Ja, Marina Brighton ist sehr speziell… Übrigens haben alle Fehlerbehebungsversuche nicht funktioniert, als wir dachten, jetzt läuft’s, sind wir mitten am Ärmelkanal eines Besseren belehrt worden. Kein Strom. Wir mussten also in der Nacht per Hand steuern. Ziemlich unlustig. Sind aber doch irgendwie in Frankreich gelandet… Heute kommt nochmals ein Techniker und schaut sich die Sache an. Ich habe gerade zum Captain gesagt, ich weigere mich, ohne funktionierende Technik auch nur eine Meile weiterzusagen 😉 Zum Glück geht es ihm ähnlich. Heute ist so viel Wind, dass einige, die in der Früh losgefahren sind wieder umgedreht haben, denn wir müssen, wenn wir nach Cherbourg fahren, um Cap Barfleur herum und wenn da Wind und Welle nicht halbwegs passen, hast du da keine Chance. Wir warten also auf gute Technik und guten Wind 😉 Liebe Grüße aus Saint Vaast la Hougue

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      1. Also, wie ich in einem anderen Kommentar schon vermutet habe, ein elektrischer Autopilot?
        Ohne funktionierende Elektrik waeren wir auf unserem Ueberfuehrungstoern vor Jahrzehnten nicht nach Brest hineingekommen. Es hersschte so ein pottendicker nebel, dass wir so gut wie nichts sehen konnten, bis – und auch das nur schemenhaft – die beiden Feuer auf den Molenkoepfen der Hafeneinfahrt auftauchten. Zum Glueck hatten wir Radar. Hatte der Skipper und Eigner eiegens fuer diesen Toern angeschafft. Er sass da fuer ein paar Stunden am Radar, waehrend ich am Ruder stand, und dann kamen ab und zu Anweiseungen wie, „Mach mal zwei Grad mehr Steuerbord“ oder so. Das war ganz schoen haarig. Als wir im Hafen waren, brauchte ich eine Schulter- und Nackenmassage.

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      2. Das mit der Nackenmassage kenne ich, die habe ich schon mehrmals eingefordert und auch vom Captain versprochen bekommen, aber noch nicht bekommen. Der Autopilot funktioniert jetzt endlich einwandfrei, aber wir können ihn nur eingeschränkt nutzen, weil wir noch immer keinen funktionierenden Windgenerator haben und ohne Strom kein Pierre 😉 Wir reparieren also fröhlich weiter, so ist das Seglerleben 🙂

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      3. Dumme Frage: warum habt Ihr Euch für einen elektrischen und nicht einen mechanischen Autopiloten entschieden?

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      4. Die Montage ist natuerlich ein wesentlicher Gesichtspunkt, und die windabhaengigen Selbststeueranlagen sind natuerlich Monster im Vergleich mit den elektrischen. Dann muesst Ihr eben Pierre vom Staffellaeufer zum Dauerlaeufer umerziehen. Der soll seine Hobbysportler-Allueren mal ablegen!

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