In Schlangenlinien über die Straße von Dover

Good afternoon from Dover, Landratten und -rättinnen, Seebären und -bärinnen. Wir haben tatsächlich nach England übergesetzt. Damit nicht genug, gibt es noch eine zweite Erfolgsmeldung: Unser neuer Autopilot läuft. Das bedeutet: Erfolg auf ganzer Linie, denn erstens geschah kurz nach unserer Ankunft im Hafen von Calais genau das, worauf wir in Dünkirchen fast zwei Wochen gewartet hatten: Monsieur Pierre rief an, um uns mitzuteilen, dass der Autopilot endlich angekommen sei und er ihn abends persönlich vorbeibringen würde.

Da saß er also bei uns an Bord, packte fünf Schachteln mit schönen neuen Raymarine-Teilen aus und erklärte innerhalb von zwanzig Minuten in seinem wunderbaren französisch-englischen Akzent Anschlüsse, Montage, Kalibrierung etc. Dann ging er und ließ Christoph ebenso zuversichtlich wie mich zweifelnd zurück. Der bekannterweise grundsätzlich pessimistische Captain sollte in seinem seltenen Anfall von Optimismus Recht behalten, denn binnen eines Tages baute der praktischte Ehemann von allen – trotz einiger Hürden wie zu kurze Spezialkabel – sämtliche Teile ein, drückte schließlich aufs Knöpfchen und ein Wunder geschah: Wie von Geisterhand drehte sich das Steuerrad.

Spontane Planänderung

Für die 20 Meilen lange Überfahrt von Calais nach Dover am nächsten Morgen war alles durchgeplant. Um 4 Uhr läutete unser Wecker, um 4 Uhr und 20 Sekunden änderten wir den Plan, drehten uns im Bett einmal um und schliefen weiter bis halb zehn. Nur damit eines klar ist: Faul sind wir nicht! Aber das Gewitter mit allem – Blitze, Donner, Starkregen, Starkwind – hatte leider genau um vier Uhr früh beschlossen, über Calais zu gewittern und sorry: Bei Unwetter starten wir sicher nicht, wir sind ja nicht auf der Flucht. Warum wir allerdings so spät am Tag gestartet sind, liegt an den tricky Umständen im Tidenrevier.

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t In diesem Teil des Hafens von Calais legen wir lieber nicht an. 

Der Yachthafen Calais liegt hinter einem Sperrtor, das bei Niedrigwasser fünf Stunden geschlossen bleibt, damit der Wasserstand im Hafen nicht so weit sinkt, dass er trockenfällt. In dieser Zeit kann daher keiner raus und rein. Da sich die Tide ja nicht an den 24-Stunden-Rhythmus hält, sondern nach Sonnen- und Mondumlaufbahn, ändern sich die Zeiten von Hoch- und Niedrigwasser täglich und deshalb bekommt man beim Hafenmeister eine Tabelle mit den Brückenöffnungszeiten. Außerdem musst du bei der Planung der Überfahrt die Strömung berechnen, denn einfach aus dem Hafen raus und quer rüber auf die andere Seite des Ärmelkanals ist nicht. Zuerst musst du dich an das betonnte Fahrwasser direkt Richtung Westen halten, denn genau nordwestlich vor dem Hafen Calais ist eine Flachstelle und wir haben echt keine Lust, Maha Nanda in eine Sandbank hineinzumanövrieren.

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Traffic-Jam vor Calais: Auch die Fähren sind im betonnten Fahrwasser unterwegs.

In der Theorie zeichnest du also auf der Seekarte den Kurs nach Westen und änderst ihn bei der letzten Tonne auf Nordwesten, zack – fertig – Dover erreicht. In der Praxis fuhren wir – die Strömung schob uns gerade noch, Hurra – Richtung Westen, legten dann Kurs Richtung Nordwesten und – fuhren sieben Stunden Richtung Nordosten. Nein, wir können den Kompass schon richtig lesen und wir sind auch keine Legastheniker, aber: der Strom, der Strom. Sechseinhalb Stunden setzte er Richtung Osten, was der Westwind noch zusätzlich begünstigte, aber dann: Als wir schon damit rechneten, erst am nächsten Morgen Dover zu erreichen, kenterte der Strom exakt in der Mitte des Ärmelkanals, wenige Minuten nachdem wir die Grenze zu Großbritannien passiert hatten und Christoph den Union Jack gesetzt hatte – dazu sang er die God Save the Queen, ist ja Ehrensache. Zugleich drehte der Wind und auf einmal legte sich Maha Nanda sanft zur Seite, drehte die Nase auf Am-Wind-Kurs und gab Gas. Und zwar so richtig. Steuerfrau Ulli strahlte übers ganze Gesicht, als der Captain am Kartenplotter neue Rekordgeschwindigkeiten verlas und so sausten wir binnen drei Stunden durch die Nordhälfte der Strait of Dover, im Dunst tauchten plötzlich die Kalkfelsen auf und beim letzten Tageslicht erreichten wir die Hafeneinfahrt.

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Zwei Meilen vor der Einfahrt musst du per Funk bei der Port Control Dover deine Ankunft avisieren, 200 Meter vorher ein zweites Mal und dann: Im letzten Abendlicht sahen wir die wuchtige Kaimauer, darüber in der Ferne die Umrisse der Burg von Dover, weit und breit war kein anderes Schiff zu sehen und jetzt schaltete die riesige Ampel an der Einfahrt von drei vertikalen roten Lichtern auf Grün. Port of Dover signalisierte uns die Einfahrtgenehigung und wir gaben Vollgas… und krochen im Schneckentempo auf den Hafen zu.

Warum der plötzliche Speed-Verlust? Ganz einfach: die letzten Meter hatten wir den Strom von steuerbord, den Wind von backbord und im Hafen herrschen eigene Strömungsverhältnisse, die sich noch dazu stündlich ändern. Zum Zeitpunkt unserer Ankunft strömte auf einer Seite Wasser aus dem Hafen Richtung Süden, auf der anderen Seite in den Hafen Richtung Norden, sodass wir beim Näherkommen den Eindruck hatten, aus der Einfahrt strömte steuerbords ein Fluss heraus, backbords einer herein. Genau dazwischen torkelte Maha Nanda, als wäre sie völlig besoffen, hindurch. Im Hafenbecken war der Spuk vorbei, es kehrte Ruhe ein und das letzte Abendlicht verschwand. Im Finsteren ließen wir uns von der Hafenmeisterin zwischen ein meterhohes Mauernlabyrinth – es herrschte gerade Niedrigwasser – durchlotsen. Per Funk gab sie uns Anweisungen, wohin wir uns im nächtens ziemlich unübersichtlichen Hafenbecken zu wenden hatten. Nach insgesamt zehn Stunden Fahrt legten wir in der Marina Dover an. Ein kleines Glaserl Rotweine – nach so einem gelungenen Anlegemanöver ist ein Manöverschluck Pflicht – und dann, good night, Dover.

 

5 Kommentare

  1. Hallo! Deine/Eure Blogs sind echt immer super unterhaltsam geschrieben!! 🙂 Toll, dass ihr so eine aufregende Zeit habt! 🙂

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  2. Bei der Ueberschrift hatte ich zuerst gedacht, Ihr haettet zu viel Cognac getrunken! 😀 Aber im Ernst: prima, dass die Selbststeueranlage jetzt funktioniert.
    Wegen der Flachstellen vor Calais schlagen auch die Kanalfaehren Haken wie ein Hase.
    Mit der Anmeldung bei der Port Control in Dover habe ich so meine ganz eigene Erfahrung. Als wir auf unserem Kanaltoern von Bournemouth ausgehend nach Dover einlaufen wollten, habe ich mich auch ordnungsgemaess ueber Funk angemeldet, so ungefaehr mit, „Dover Port, this is sailing-yacht … [mein altes Hirn kann sich nicht mehr an den Namen unserer Charteryacht erinnern]. We are approximately 2 two miles west of the west entrance.“ Worauf die Antwort kam, „No, you’re to the east!“ Ich zurueck, „Sorry, but we’re coming from the west, from Bournemouth.“ Und darauf, „My apologies, there’s another sailing yacht coming in from the east at the same time.“ So sind wir dann doch richtig reingekommen. Wir haben vor dem Tor zum Yachthafen an der Kaimauer festgemacht, bis der Wasser den richtigen Stand hatte, und dann, als es geoeffnet wurde … wollte unser Motor ums Verrecken nich anspringen! Hat uns dann ein freundlicher Nebenlieger reingeschleppt. Was es war, das haben wir nie herausgefunden, denn drinnen, nach kurzer Zeit, sprang die Kiste wieder ohne zu Murren an.

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