Wie man fünf Meter unter dem Meer lebt, und trotzdem Luft bekommt

Hat schon mal jemand daran gedacht, bei Wasserknappheit im nördlichen Niederösterreich den Lauf von March und Thaya umzudrehen und von der Donau weg statt zur Donau hin zu leiten? Wer jetzt über diese absurde Idee lacht, sollte mal einen Blick Richtung Niederlanden werfen, wo großartige Ingenieurskunst mit noch größerem Mut, mit Kreativität, freiem Denken und viel Gelassenheit zu einzigartigen technischen Errungenschaften und sprichwörtlich neuen Lebenswelten führt.

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Hollandradfahrt im April. Mütze, Daunenjacke und Handschuhe sind Pflicht.

Im Sommer 2003, als in der Provinz Südholland noch nie dagewesene Wasserknappheit herrschte, drehten die Niederländer den Lauf der Amstel einfach um. Amsterdams Grachten werden über eine Pumpstation vom IJsselmeer gespeist und damit das Wasser in jenem Sommer nicht, wie sonst üblich zurückfloss, ließ die Wasserbehörde, die Waterbeheer, acht Schleusen in Amsterdam schließen und die Amstel strömte 40 Tage lang, bis zum Ende der Dürre, Richtung Süden – verkehrt herum.

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1920 erbaut und immer noch in Betrieb: das Schöpfwerk Woudagemaal in Friesland

So einfach ist das in einem Land, das von seinen Bewohnern quasi selbst erschaffen wurde, denn große Teile Hollands liegen fünf Meter unter dem Meeresspiegel. Damit seine Bewohner nicht permanent nasse Füße haben, begann man nicht nur bereits vor Jahrzehnten, Dämme zu bauen und verwandelte zudem die Zuidersee (einen Teil der Nordsee) in das Ijseelmeer – also machte aus dem Meer einen See, sondern man regulierte und reguliert noch heute das Wasser auf schier unglaubliche Weise. Die Provinz Friesland liegt unter dem Meeresspiegel und wird von einem Netz an Kanälen, die sich zwischendrin zu vielen, vielen Seen verbreitern, durchzogen. Damit der Wasserstand konstant gehalten wird und die künstlich geschaffene Landfläche – die Polder – trocken bleiben, sind permanent etliche Pumpwerke und Schleusen im Einsatz.

Weltkulturerbe

Wir haben heute das weltweit größte noch funktionierende Dampfpumpwerk besucht, das Woudagemaal in Lemmer. „Wenn das moderne Pumpwerk in Stavoren der Wassermassen nicht mehr Herr wird, schalten wir unser Schöpfwerk ein“, erklärt uns Cor. Cor heißt eigentlich Cornelius und ist einer von 100 Freiwilligen, die Besucher durch das 1920 in Betrieb gegangene Industriegebäude führen. „Ich interessiere mich für Technik, ich mag es, mich mit Besuchern aus der ganzen Welt zu unterhalten und außerdem wohne ich gleich um die Ecke. Ich könnte hierherschwimmen, aber heute ist es zu kalt“, scherzt er. Besucher kommen aber zu jeder Jahreszeit, auch wenn es so wie heute nur acht Grad inklusive Nordwind hat. Kein Wunder, sogar technische Nackerpatzerln wie mich kann dieses Pumpwerk beeindrucken.

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Von vier Kesseln, früher mit Kohle, heute mit Öl erhitzt, gelangt der Dampf zu den Maschinen, die riesige Schaufelräder antreiben. Ein 50 Meter Schwimmbecken würde in 35 Sekunden „leergesaugt“, pro Minute werden vier Millionen Liter Wasser in das IJsselmeer gepumpt,

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Unvorstellbar, dass das Woudagemaal  vor 100 Jahren gebaut wurde. Welcher Mut, welche Visionen gehörten damals dazu, ein Schöpfwerk zu errichten, das den Wasserstand einer ganzen Provinz regulieren kann? 1917 bis 1919 wurde der 60 Meter hohe Schornstein aus Backstein gebaut. Auch wenn man bedenkt, dass jeder Stein Hand für Hand übereinandergelegt werden musste, ist das schon eine lange Zeit, oder? Cor grinst verschmitzt. „Eigentlich dauerten die Arbeiten ja nur ein Jahr. 1918 stand der Schornstein und das Bauwerk sollte gefeiert werden.“ Und dann? „In der Nacht vor dem Fest zog ein Gewitter über Lemmer und als die Leute am nächsten Tag mit Festessen, Bier und Limonade auftauchten, so richtig in Feierlaune eben – standen sie vor dem Trümmern des Turms. Der war durch einen Blitzschlag eingestürzt.“

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Cor erzählt uns die Geschichten zum Bau des Schöpfwerks
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Der Schornstein des Schöpfwerks ist 60 Meter hoch und wurde zweimal gebaut

Ein weiteres Jahr musste der Schornstein wiederaufgebaut werden und 1920 wurde das Woudagemaal eröffnet. „Ungefähr dreimal im Jahr ist es noch in Betrieb“, weiß Cor. „Manchesmal läuft es vier Tage hintereinander. Ihr müsst unbedingt vorbeikommen, wenn die Dampfmaschinen laufen, glaubt mir, wir können hier in der Halle stehen und uns genauso wie jetzt unterhalten. Außer einem leisen Zischen werdet ihr nichts hören.“

Auf der Webpage des Woudagemaal kann man sich unter Kontakte ganz einfach registrieren, dann erfährt man ein paar Tage zuvor, wann es losgeht. Falls wir dann noch in Lemmer sind…

Auf Richtung Süden!

Denn eigentlich sind wir ja in Gedanken schon fort. In Hoorn, in Gouda oder in Enkhuisen. Denn am Donnerstag haben wir einen Krantermin. Ja, richtig gelesen. Wir wechseln vom Parkplatz-Beton ins IJsselmeer-Süßwasser! Aufgrund dieser Tatsache habe ich heute Abend unsere To-Do-Liste um weitere acht Punkte erweitert, denn bevor Maha Nanda schwimmt, muss sie schwimmfest werden, das ist gewiss.

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Der Captain montiert die Träger für den Generator

Übrigens: Meine Beobachtung, dass Arbeitszeit am eigenen Schiff ein Paradebeispiel für Einsteins Relativitätstheorie ist und Zeit und Raum eine völlig andere Dimension erreichen, hat mir Horst bestätigt. Er ist Eigner einer kleinen Stahljacht, die im Hafen von Lemmer liegt und meinte: „Arbeit, für die du zu Hause fünf Minuten brauchst, dauert am Boot fünf Stunden.“ Angesichts dieser unfassbaren zeitlichen Unendlichkeitsdimension staune man über unsere Fortschritte auf Maha Nanda (und immer an die Formel fünf Minuten =« fünf Stunden denken):

Kabel für die Ankerwinde verlegt, Relais montiert, Kabeldurchbrüche vorbereitet, Staufach für Batterie angefertigt, Handbilgepumpe installiert, Schlauch zu Motorbilge verlegt, Isolation in Nasszelle und Salon geklebt, Träger für Generator und Solarpaneel montiert, Holzverkleidungen und Regalfächer angefertigt, geschliffen, lackiert und montiert, Motor gereinigt, Bilge und Motor gesäubert (grausliche Dämmplatten – Asbest vermutlich – abgeschabt), Wassertank installiert, Holzteile im Außenbereich geölt und gestrichen, Luken abgedichtet… Was ich noch sagen wollte: Gute Nacht!

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5 Kommentare

  1. Freut mich total, daß es Richtung Wasser geht! 🙂
    Habt ja riesige Fortschritte gemacht …
    Ach ja: noch eine Relativität: Je mehr man von einer ToDo LISTE abarbeitet, desto länger wird sie – gemein, oder? Das hat Daniel wohl nicht dazugesagt … 😀
    Alles Gute für die letzten Handgriffe vor dem Start!
    LieGrü Veronika

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