Der Wahnsinn greift um sich. Das ist unsere derzeitige Situation in fünf Worten auf den Punkt gebracht. Wie der Wahnsinn an einem ganz normalen Wochentag aussieht? Ich komme abends von der Redaktion heim. Mein Arbeitsplatz ist übrigens derzeit nicht der Hort der Erholung, denn neben dem täglichen journalistischen Irrsinn schule ich gerade einen jungen Mann ein, der für ein Jahr meine Agenden – zumindest einen großen Teil davon – übernehmen wird, und da die Zeitungsproduktion ohnehin kein Nine-to-Five-Job ist, bin ich am Ende des Tages nicht gerade in entspannter Urlaubslaune. Das nur nebenbei.
Also, ich komme völlig umentspannt zu Hause an, wo mich mein geliebter Ehemann in der höchstmöglichen Stufe des Leides erwartet. Denn der im normalen Leben charmante Mann an meiner Seite war an diesem Tag zum Einen beim Zahnarzt von einem schmerzenden Teil seines Kauapparates endgültig und für immer befreit worden, was verständlicherweise nicht für gute Laune sorgt, zum Anderen steckt er gerade mitten in der Vorbereitung zu einer Vernissage. Wer meinen Blog und/oder den Künstler an meiner Seite kennt, weiß: An Tagen wie diesen verwandelt sich der eloquenteste Künstler von allen zur Diva. Stichwort: Du bist nicht du, wenn du eine Vernissage hast.
Ich betrete also das Untergeschoß unseres Hauses, wo sich der Wahnsinn eingenistet hat und in alle Richtungen unseres Grundstückes strebt. Im Atelier steht der leidende Künstler und versucht gleichzeitig, Bilder fertigzustellen, beschädigte Werke auszubessern und Rahmen herzustellen. Während ich dem zu diesem Zeitpunkt undankbarsten Künstler von allen helfe, 60 (!) Bilder die Stufen hinauf, und weiter durch den Hof bis in die Garage zu tragen, um sie für den Transport zum Ausstellungsort zu stapeln, dröhnt im Nebenraum des Ateliers die Schlagbohrmaschine. Hier werkt mein Bruder, der beschlossen hat, ein Stromkabel vom Untergeschoß quer durch unseren 1000 Quadratmeter großen Garten zu legen. Wenn Wolfgang ganz spontan eine Idee für körperliche Arbeit – vorzugsweise mit schwerem Gerät – einschießt, kannst du dir sicher sein, dass diese Idee binnen kürzester Zeit zur Realität wird, denn Wolfgang ist kein Mann der vielen Worte. Er ist ein Mann der Tat. Daher kommt nicht nur die Schlagbohrmaschine zum Einsatz, nein! Eine riesige Grabenfräse muss her, sie wühlt sich binnen weniger Stunden durch den Rasen, gräbt eine Schneise bis in die letzte Ecke des Gartens und hinterlässt eine Spur der Verwüstung, Damit noch nicht genug, wird eine Gartenfräse in Position gebracht. Sie verwandelt den letzten spärlichen Rest unserer Wiese in frisch gepflügte Ackerlandschaft. Nur 48 Stunden braucht mein Bruder, um Haus und Garten in eine veritable Baustelle zu verwandeln. Hab ich schon erwähnt, dass Wolfgang Baustellen liebt?
Während die Künstlergattin also, musikalisch umrahmt vom Fluchen des Künstlers und Hämmern der Schlagbohrmaschine, Bilder über Schuttberge und Stiegen schleppt, dringen aus dem Raum neben dem Schlagbohrmaschinenarbeitsbereich weitere liebliche Geräusche. Hier ist nämlich der nächste Künstler am Werk. Unser Sohn Johannes hat just an diesem Abend beschlossen, Cousin Tobias einzuladen, um sich dem Fortschritt der gemeinsamen künstlerischen Entfaltung zu widmen. Will heißen: Aus dem Proberaum kreischt uns Hardrock at it’s best entgegen. (Habe ich schon erwähnt, dass Johannes Schlagzeuger ist?).
Freitagabend gegen Mitternacht war schließlich fast alles wieder gut, denn die Vernissage war ein Erfolg. Ich kann nur sagen, die Menschen lieben den Künstler und seine Kunst. Nach der höchst gelungenen Laudatio und der sympathischen Rede des Künstlers selbst, geschah erneut die Verwandlung und aus der Diva wurde der mir so vertraute und geliebte charmante Mann, der hingebungsvoll über seine Leidenschaft des Malens spricht und es versteht, die Gäste für sich einzunehmen.

Zugegebenermaßen ist noch nicht alles im Lot, aber auch dafür habe ich einen Plan: Ich werde unseren Garten die nächsten Wochen nicht mehr betreten, und zwar so lange, bis ich nach Lemmer abreise. Im Mai 2020 komme ich wieder und dann… wird sich der Acker in eine grüne und blühende Parklandschaft verzaubert haben.
Umso mehr wirst Du die Ruhe auf dem Boot, das Rauschen der Bugwelle und das Saeuseln [hoffentlich nur das] des Windes geniessen. Und in einem Jahr sollte der Garten ja wirklich wieder im Normalzustand sein.
LikeLike
Vielen Dank für deine positiven motivierenden Worte. Das tut inmitten des Chaos wohl 👍
LikeLike
Gerne!
LikeLike