Erfahrungen am Mittelmeer: Segeln und Fluchen gelernt

Darin sind Christoph und ich uns einig: grobschlächtige, unhöfliche, taktlose Menschen mögen wir nicht. (Mag die überhaupt irgendwer? Andererseits kenne ich tatsächlich solche Typen, die unglaublicherweise verheiratet sind…) Kotzbrocken aller Art gehen wir so weit es geht großräumig aus dem Weg. Nur geht’s eben nicht immer, manches Mal pfercht dich das Leben mit wahnsinnigen Cholerikern eine Woche lang auf 40 Quadratmetern Raum zusammen. So geschehen vor einigen Jahren bei Christophs Prüfungstörn an der Adria.

DSC_0342
Hafeneinfahrt von Piran

Sechs Männer und eine Frau auf einer Jeannau 42, ein uraltes Schulschiff, das schon eine Havarie erlebt hatte und trotzdem oder gerade deshalb Jahr für Jahr allen Fehlern ihrer Schüler trotzt und sie, all ihre seglerischen Dummheiten erduldend, durch die blaue, manches Mal aber auch grau-weiß schäumende Adria trägt. Warum um alles in der Welt die Frau eines Prüflings mit an Bord war, ist mir schleierhaft. Sie war der einzige Gast dieses Törns des Grauens, der fünf Männern die härteste Prüfung ihres Lebens abverlangte und dessen Captain sich als Berserker des Mittelmeers entpuppte. Männer-Törns sind ohnehin eine spezielle Angelegenheit. Da geht es um Grenzenausloten, um Geschwindigkeitsrausch und um andere Räusche. Viel Alkohol und viel Testosteron ist im Spiel, Socken werden nur im äußersten Notfall gewechselt und die Zahnbürste, liebevoll von der Gattin eingepackt, bleibt, wo sie liebevoll eingepackt liegt, im Seesack. Wenige Frauen haben Interesse, als einziges weibliches Crewmitglied an einem derartigen Testosteron-Trip teilzunehmen, das tapfere – oder wahrscheinlich eher ahnungslose – oben genannte Eheweib hat seine Entscheidung jedenfalls rasch bereut.

DSC_0153-2
Zut, Kroatien

Die Schimpftiraden des Captain ergossen sich ausnahmslos über alle an Bord der Jeannau, niemals in seinem Leben hatte Christoph in so kurzer Zeit eine solche Flut an Flüchen gehört, niemals zuvor und danach war er so intensiv und konsequent beleidigt worden. Nach einigen Tagen beschloss er, den Törn abzubrechen, der Segelschein war dieses Qual nicht wert, er würde seine daheimgebliebene Gattin anrufen, sie bitten, ihm die Daten für den nächsten Zug herauszusuchen und ein Ticket zu buchen. Allein – die treue Gattin ging nicht ans Telefon (Ich glaube, ich war gerade in einem Meeting), was den Abbruchplan vereitelte und dazu führte, dass Christoph doch noch seinen Segelschein machte.

DSC_0020
Ancona

Von Aquileia ging es Richtung Ancona, dann zu den Kornaten, nach Dugi Otok und über Umag, Piran, Izola und Grado wieder zurück. Südlich von Ancona hätte die Mannschaft beinahe die Jeannau versenkt, denn Captain und Crew verließen sich auf ein nicht mehr ganz aktuelles Hafenhandbuch. Leider waren die Tonnen umgesetzt worden und in der Nacht sind alle Wasser ebenso schwarz wie die Kaimauern… Immerhin, das Manöver des letzten Augenblicks wäre somit auch erfolgreich absolviert worden.

Hafenkino bot die Crew allemal, ich bin überzeugt, im Stadthafen von Grado hat man nicht so häufig die Möglichkeit zu beobachten, wie die Mannschaft einer Jeannau geschlagene zehnmal unter lautstarken Tiraden eines tobenden, rotgesichtigen, rauschebärtigen und etwas  in die Jahre gekommenen Skippers ab- und wieder anlegt. Erst als alle Mann an allen Positionen korrekte Manöver gefahren waren, gab sich der Gestrenge zufrieden und die Fahrt wurde fortgesetzt.

Einhand-Anlegen, verd… noch einmal!

In Izola hieß es dann: Einhand-Anlegen am Poller. Das funktionierte so: Wenn der Steuermann den roten Mercedes recht voran erblickt, legt er das Ruder hart Backbord, lässt dann das Steuer los, rennt mittschiffs und wirft die Leine über den Poller. Zwei Problemzonen offenbarten sich aus diesem Manöver: erstens verhedderten sich die Prüflinge permanent in den außergewöhnlich langen Leinen, Überbord-Gehen konnte nur durch beherztes Zugreifen eines umsichtigen Crewmitglieds verhindert werden, zweitens war es ein Ding der Unmöglichkeit, Ruhe zu bewahren, während direkt über die Schulter ans linke Ohr im Stakkato Oaschl…-Schreie und noch viel Schlimmeres gellten.

Was die fünf Männer während des Prüfungstörns noch gelernt haben: Der Vorteil einer Ankerwinde ist nicht zu unterschätzen, vor allem wenn der Ankergrund schlammig ist. Die Jeannau hatte keine und der Anblick des schlammverschmierten Anker-Holers dient Christoph heute noch als warnende Erinnerung: Riskier keinen Törn ohne Ankerwinde!

Skipper-Styling

Und: es gibt viele Arten von Skippern. Manche tragen eine Woche lang die gleiche Unterhose und verzichten gern auf die regelmäßige Dusche, die Bierdose ist ihr ständiger Begleiter und der beachtliche Kugelbauch wird nur im äußersten Notfall – wie etwa beim Einklarieren – mit dem schmuddeligen T-Shirt der Woche bedeckt. Andere sind unersetzliche Funktionäre des Yachtclub-Vorstands und präsentieren diese enorm wichtige Tatsache gerne auch anhand ihres Erscheinungsbildes. Da sind Polo-Shirt und Segelschuhe farblich aufeinander abgestimmt, der Club-Blazer hängt stets griffbereit und gebügelt am Kleiderbügel und auch die Ausstattung der Yacht ist abgestimmt auf die Clubfarben. Die wie aus dem Ei gepellte Crew huscht lautlos durch den Salon und serviert Espresso oder Melange, wonach dem Captain eben der Sinn steht.

DSC_0153
Ein bisschen Morgentoilette

Der letzte Abend des Törns in Aquileia endete wie zu erwarten in einem großen Gelage. Während die Spannung im gleichen Maße wie der Alkoholpegel stieg, fielen dem Captain die Augen zu. Eine Woche lang durchgehend unterwegs, keine Nacht geschlafen, in keinem Hafen länger als zwei Stunden festgemacht, diese Anstrengungen forderten ihren Tribut. Die Prüflinge stießen den Skipper an. „Was ist jetzt mit unserem Schein? Haben wir bestanden?“ Der Berserker, schweigsam wie nie, öffnete kurz die Augen, bevor sie wieder zufielen. „Wir wollen wissen, ob wir bestanden haben!“, grölten die Männer im Chor. Da rappelte sich der Wüterich auf, torkelte in seine Kajüte und kam mit den fünf Scheinen zurück. Alle fünf waren unterschrieben. Halleluja, bestanden!

DSC_0440

3 Kommentare

  1. „Socken werden nur im äußersten Notfall gewechselt “ – Das erinnert mich an meine eigenen Erfahrungen von einem Ueberfuehrungstorn. Da habe ich meine Socken und meine Unterwaesche geschlagene 14 Tage nicht gewechselt. Aber nicht, weil es ein Maennertoern war, sondern weil ich schon nach der ersten von drei Wochen nur noch eine einzige trockene Garnitur hatte und genau wusste, dass die, bei dem ueberkommenden Wasser und dem undichten Schiff, innerhalb kuerzester Zeit auch nass sein wuerde. Noch nicht einmal direkt nach dem Toern konnte ich mich umziehen, weil wir rasen mussten, um den Flieger zurueck nach Deutschland noch zu erwischen. Ich bedaure heute noch die Leute, die damals im Flugzeug neben mir sassen! 😀

    Like

Hinterlasse einen Kommentar