Der scheinbare Wind, der wahre Wind und der gemeine Wind: Neusiedler-See-Segeln

Eine halbe Stunde südöstlich von Wien beginnt das Meer. Der Neusiedler See heißt ja inoffiziell das „Meer der Wiener“ und er ist definitiv – mangels anderweitiger Alternativen – auch das Meer der Niederösterreicher. Wer also nicht gerade auf der alten Donau mit Blick auf DC Tower Stadtsegeln will, düst Richtung Burgenland. Für Seefahrernationen wie Großbritannien oder Portugal mögen die 315 Quadratkilometer Wasserfläche lächerlich sein, aber hallo, der See hat es in sich.

Es klingt vielleicht beruhigend, wenn man hört, dass er an der tiefsten Stelle 1,8 Meter misst. Da kann ja nichts passieren, kann man immerhin durchwaten und tatsächlich gibt es sogar Neusiedler-See-Wandertage. Aber wehe wenn sie losgelassen, die Lacke. Die Gegend ist eine der windreichsten von Österreich, ideal für Segelsportler, aber sie ist auch bekannt für plötzlich binnen weniger Minuten auftretende Stürme bis Windstärke 10. Da lacht dann auch der Brite nicht mehr, denn im flachen Wasser bauen sich in kürzester Zeit einen Meter hohe Wellen auf und ein Meter bedeutet Grundsee und höchste Gefahr. Jedes Jahr kentern etliche Boote, deren Skipper die Situation unterschätzen und jedes Jahr sterben Menschen im Neusiedler See.

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Der Wind am Neusiedler See ist gemein. Aus unserer Sicht. Denn er ändert sich ständig. Wir fahren eineinhalb Stunden von uns zu Hause bis Weiden oder Breitenbrunn, wo wir öfter mal Jollen chartern. Aber das Wetter um 10 Uhr vormittags hat nichts mit jenem um 11.30 Uhr zu tun, und Wetterprognosen sind nur armselige Versuche verzweifelter Meteorologen, so zu tun, als hätten sie das Wetter am Neusiedler See im Griff. Niemand hat es im Griff. Kommen wir bei Windstille an,  weht uns vielleicht eine Stunde später Südwind um die Nase, der eine weitere halbe Stunde nach West dreht, auffrischt und eine Stunde später einschläft.

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Der Klassiker:

Die Prognose versprach Windstärke 6, zum Nachmittag hin abnehmend auf 4, konstant aus Ost. Perfekt! Proviant, Badesachen, Fotoapparat eingepackt und schon gings los Richtung Süden. Ankunft im Weiden bei völliger Windstille. Wir tranken mal einen Kaffee. Nach einer Stunde immer noch Windstille, ich trank meinen zweiten Campari. Wind kam auf! Juhu, rein in die Jolle und los geht’s. Weil ja heute Badesegeln am Programm stand, war ich entsprechend ausgerüstet. Bikini, hübsches Blüschen, großer Sonnenhut – sehr stylisch. Nach der dritten Wende kam die erste Böe. Hui, unsere Jolle nahm Fahrt auf, ich hielt zur Sicherheit meinen Hut fest. Der Wind nahm zu, jetzt hatten wir schon ordentlich Krängung, ich legte zur Vorsicht mal meinen Hut ab. Dann kamen die berüchtigten kurzen Neusiedler-See-Wellen, Christoph versuchte, den gemütlichsten Kurs zu finden, aber gemütlich war da schon lang nix mehr. Die Bluse war durchweicht, die schöne Sonntagsfrisur hing in nassen Strähnen runter, statt mit Sonnen war ich mit Vorschoten beschäftigt und Christoph bediente die Pinne wie einen Joystick – sehr dynamisch. Schließlich kam die Sturmwarnung und jeder Neusiedler-See-Segler weiß, da heißt es schnell reagieren. Wir sausten Richtung Anlegeplatz zurück, legten dank mir verständlicher Kommandos von Captain Christoph einen perfekten Aufschießer hin und wankten etwas ermattet von Bord. Als wir wenige Minuten später im Café saßen – ich beim dritten Campari – schlief der Wind schlagartig ein. Flaute.

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Der Wind am See ist einfach unberechenbar. Immer zu viel, zu wenig, von der falschen Seite und gar nicht. Da erweist es sich als nützlich, Rudersklaven in Form von halbwüchsigen, trainierten und unausgelasteten Söhnen an Bord zu haben. Matthias und Johannes haben uns schon das eine oder andere Mal durch Paddeln oder schwimmend und gehend An-der-Leine-Ziehen bei Flaute in den Hafen zurückbefördert. Zudem neigt der böige Wind dazu, unvermittelt die Richtung zu wechseln, du solltest dich nie allzu sicher fühlen auf deiner kleinen Jolle. Als Christoph mal mit Matthias beschloss, einen Männertag am See zu verbringen, bei leichter Brise dahindümpelte und Matthias entspannt in einem Buch schmökerte, kam plötzlich eine Böe auf, fuhr ins Segel, der Baum schlug auf die andere Seite: Patenthalse. Matthias konnte sich, seine Sonnenbrille und sein Buch gerade noch festhalten und vorm Über-Bord-Gehen bewahren. Von dem Moment an war es mit dem Dahindümpeln vorbei…

Auf Grund gelaufen

Übrigens kenne ich keinen Neusiedler-See-Segler, der nicht schon mal im Schlamm auf Grund gelaufen wäre. Das liegt zum Einen daran, dass es im eh schon flachen See immer wieder mal Flachstellen gibt, zum Anderen daran, dass die Wassertiefe von Jahr zu Jahr schwankt, je nach den Regenfällen im Winter und Frühling. Christoph war mal im Herbst mit zwei Freunden mit einer kleinen Jacht unterwegs, der Wasserstand schon niedrig, der Tiefgang der Jacht für den See ohnehin grenzwertig. Vor Oggau, wo der Kanal Richtung Hafen beginnt, verlangsamte sich ihre Fahrt, bis die Jacht zum Stillstand kam und sich langsam sanft Richtung Backbord neigte. Steckengeblieben. Zu allem Überfluss fiel nun der Elektromotor aus, die Batterie war leer. Christoph sah sich schon eine Meile lang paddeln – zum Glück konnte der Motor nach einiger Zeit der Ruhe nochmal gestartet werden, und im Schneckentempo mit Schweißperlen auf der Stirn kam die Crew in Oggau an.

30 Manöver und dann kam die Fähre

Der Klassiker No.2:

Die Hafenausfahrt von Breitenbrunn birgt eine spezielle Herausforderung. Zwischen den Stegen und dem See liegen drei kleine Schilfinseln, die es zu umschiffen gilt. Nicht nur, dass der Wind oft von der Seeseite kommt, was aufkreuzen in den engen Kanälen zwischen den Inseln bedeutet, sind zudem die Inseln Windschutz, das heißt, unmittelbar dahinter herrscht oft Flaute. Als wir als Segelanfänger vor etlichen Jahren in Breitenbrunn unsere ersten Erfahrungen sammelten, kämpften wir abwechselnd mit Flaute und Gegenwind, steckten im Schilf fest (aus dem uns unsere Söhne, die besten Schlammwater von allen, befreiten) und kamen trotz Aufkreuzen und dreißig Wenden zwischen den Inseln keinen Fuß voran. Und wenn wir endlich auf halbem Weg und in freudiger Hoffnung auf die Weite des Sees waren, tauchte garantiert tutend die Fähre hinter dem Schilf auf Kollisionskurs auf. Für Fähre UND Jolle ist zwischen den Inseln definitiv kein Platz, also: Klar zur Wende und Rückzugsmanöver in den Hafen.

Wer Manöver üben will, ist jedenfalls am Neusiedler See bestens aufgehoben. An einem Tag fährst du hier – wenn nicht gerade Flaute herrscht – so viele Manöver wie in Griechenland innerhalb von zwei Wochen.

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2 Kommentare

  1. Interessante Informationen: das mit den stark wechselnden Winden z.B. wusste ich noch nicht. Uebrigens: da ich hier im/auf dem Trockenen sitze, habe ich Alles mit vergnuegen gelesen. 😀
    Liebe Gruesse,
    Pit

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