Warum bist du so kalt, Friesland?

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Ich habe sie wiedergesehen! Heute! Unsere Maha Nanda. Wir sind bei Sturm und 11 Grad Celsius nach zwölf Stunden Autofahrt in Lemmer gelandet und frieren mit strahlenden Augen, was eine echte Sensation ist, denn mein Captain und bester Ehemann von allen ist ein notorischer Wetter-Jammerer. Ach was sage ich. Er hat die Wetterwehklage perfektioniert, ist sozusagen der weltgrößte Wetterlamentierer und schafft problemlos einen einstündigen Vortrag über Regen, Sturm und Kälte – lauter Phänomene, die nur als sein persönliches Unbill über seinem Kopf auftreten und seine Schritte verfolgen – the personel Christoph-cloud.

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Heute stand er gemeinsam mit mir und meinen Eltern vor Maha Nanda und konnte nicht aufhören zu grinsen. Sie steht in der Werft von Friese Hoek, ganz allein in einer Riesenhalle, alle anderen Schiffe sind in den vergangenen Wochen ins Wasser gelassen worden, in den nächsten Tagen soll sie auch – zum ersten Mal für heuer – schwimmen. Das Unterwasserschiff ist fertig! Wo beim letzten Mal zwischen Muschelbewuchs die fleckige türkisgrüner Farbe durchschien, leuchtet es jetzt strahlend rot. Jetzt geht es an den Feinschliff, mein Papa, 80-jähriger Tischlermeister, der heuer sozusagen im zweiten Bildungsweg zum Bootsbaumeister avancierte, gibt die Instruktionen. Wir haben nämlich, das kann ich aus tiefster Überzeugung sagen, die schönste Plicht in ganz Lemmer, ziemlich sicher sogar am ganzen Ijsselmeer und darüber hinaus. Ein bootsbauerisches Gedicht aus Esche und Mahagoni, gebaut in der Weinviertler Werft. Die gibt es übrigens wirklich, aber dazu später.

Feinschliff

Derzeit ist das Gedicht aber noch etwas unrhythmisch, das Versmaß holpert sozusagen, denn der erste Blick von den wackeligen Holzstufen in die Plicht zeigt viel Stahl, die hydraulische Steuerung ist freigelegt, ein altes Brett liegt quer über die Sitzflächen – für einen Laien schaut’s echt nach Baustelle aus, der Fachmann ist voll motiviert. „Das haben wir bald.“ Vieles ist ja schon im April geschehen, da hat das Schwieger-Duo, nämlich Christoph und Schwiegervater oder Papa und Schwiegersohn, je nach Blickwinkel, schon den Großteil der Holzteile angepasst und montiert. Dann allerdings wieder abmontiert, weil der Feinschliff eben jetzt im Mai kommen soll.

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Ob wir das in wenigen Tagen schaffen? Meine Meinung wechselt im Stundentakt. Mal denke ich, das schaffen wir doch locker, dann bin ich überzeugt, das geht sich nie aus… Aber heute ist eh schon einiges geschehen. Die Einstiegs- und Sitzfläche am Heck ist fertig, das schiache Brett ist weg. Dass die Teile exakt angepasst wurden und jetzt perfekt passen, ist Papas persönliches Highlight des Tages. Christophs most exciting moment of the day? Als er vier Löcher bohrte… „Ich habe eigenhändig in die Bordwand meines Schiffs Löcher gemacht, das ist ein blödes Gefühl“, erklärt mein Captain etwas kläglich. Er übertreibt wie immer ein bissl, denn die Löcher sind natürlich ober der Wassserkante, genauer gesagt, ganz oben an der Oberkante. Solange wir nicht einen Eisberg oder etwas ähnlich Schweres rammen, wird sie trotz ihrer vier Löcher nicht sinken, unsere Maha Nanda.

Der Löbl von Lemmer

Wir haben also heute fast den ganzen Tag in der Werft verbracht, zwischendurch waren wir aber ein paarmal im Stadtzentrum zum Einkaufen, davon dreimal beim Löbl von Lemmer. Wer das ist? In Christophs Heimatort Hohenau gabs einen legendären Eisenwarenhändler, den alten Löbl. Er und seine Frau waren fast Hundert Jahre alt, als sie immer noch im Geschäft standen. Dort gab es jede Art von Schrauben, die auf der Welt exisiert, Ösen, Nieten, Haken, Werkzeuge, Fahrräder, Gartengeräte, Motozubehör. Es gab nichts, was er nicht verkaufte und was er nicht lagernd hatte, bestellte er, der Service war einzigartig und wurde mit den Jahren immer eigenwilliger. Denn mit der altersbedingt abnehmenden Schrittgeschwindigkeit der alten Löbl ging proportional dazu wachsende Demenz einher, was dazu führte, dass sie den Kundenwunsch hinter der Budel zwar registrierte, auf halbem Weg zum gewünschten Produkt – der eine gefühlte Ewigkeit währte – wieder umdrehte und zurückkam: „Was wollten Sie wieder?“

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Der Löbl von Lemmer ist echt auf Zack, da wird das Gewünschte auf Anhieb gefunden; jede Messingschraube, jeder Beschlag und jedes Sägeblatt. In den nächsten zwei Wochen wird man uns in der Eisenwarenhandlung echt lieb gewinnen, denn wir werden dort noch sehr, sehr oft ein- und ausgehen. Wie gesagt, heute dreimal, denn erst während der Arbeit kommen die beiden Meister des Bootsbaus d’rauf, dass da eine Schraube und dort ein Türschnapper fehlen und blöderweise keine Spachtel in der Werkzeugtasche zu finden ist…

Alles in allem, also ein erfolgeicher erster Arbeitstag in Lemmer, wenn da nicht die Kälte wäre. Aber wir strahlen immer noch.

2 Kommentare

  1. Das hört sich ja sehr vielversprechend an – und sieht auch super aus, Euer sicher bald schwimmendes Heim. Weiterhin frohes Schaffen und viel Sonnenschein! Liebe Grüße Euch allen.

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